Editorial
Liebe Freunde, Kollegen, Medienschaffende,
wir haben Lust auf Großstadt. Nein, nicht London; Paris oder Barcelona – es zieht uns nach Berlin. Die Angesagte. Und immer auch ein bisschen Piefige.
In der es immer noch an jeder Ecke schwäbelt.
(Natürlich überhören wir nicht all die englischen, russischen oder sonstwie Fetzen, die gleichzeitig durch die Berliner Luft schwirren, aber schwäbeln tut es hier eben in der ganzen Kakophonie auch noch reichlich. Daran hat sich seit den 80er Jahren nix geändert…)
Wir brechen also auf nach Berlin, spüren weniger dem Hype, sondern eher den Klischees nach… Mehr Bolle statt Berghain.
Gehen mit auf Wohnungssuche, kommen gerade an – oder verlassen die Stadt auch schon wieder. Berlin. Ein Kommen und Gehen.
Wie singt eine bekannte deutsche Band?
„Dickes B oben an der Spree.
Im Sommer tust du gut.
Und im Winter tut’s weh.“
Jetzt ist Sommer. Und Berlin wartet.
Viel Spaß wünschen
Eure,
Silke Vogten und Flora Jörgens
Foto: Brigitte Mampe
Brigitte Mampe, Jahrgang 1966, lebt in Oberhausen. Seit Jahren treibt es sie immer wieder nach Berlin – und eigentlich überall hinaus in die Welt…
Berlin
Die Wohnung, die sie sich ansah, war ein Alptraum. Charlottenburg – und Nele hatte an das Schloß gedacht, an prachtvolle alte Häuser aus der Gründerzeit. Sie hatte diesmal Lust auf einen ruhigen Stadtteil im Westen gehabt. Sie hatte zuviel erwartet. Die komischen Typen, die ihr zuhause diese Absteige hier empfohlen hatten, wären Mißtrauen schon wert gewesen. Aber das jetzt übertraf alles.
„Hier waren schon viele Montagearbeiter drin gewesen“, erklärte ihr die fette Frau, die in fleischfarbenen, verrutschten Strümpfen vor ihr stand. Sie könne hier auch alleine wohnen.
„Für eenen alleene schön jeräumich.“
Nele nickte. (Und wenn sie Langeweile hatte, das alte Sperma von den Tapeten kratzen?)
Es war eine kalte Etagenwohnung im zweiten Hinterhof. Kaum Licht, 80er Jahre Möbel, sortiert wie in einem Möbellager, schmutzigorange Vorhänge an den Wänden. Und dann dieses Bett. Ein abgestandener Muff schwebte über alledem. Nele war zu enttäuscht, um Höflichkeit vorzutäuschen.
„Zweihundertfuffzig Euro im Monat. Und Strom zusätzlich“, sagte die Frau routiniert.
Nele machte einen Schritt in Richtung Ausgang. Dass es so etwas wie hier immer noch gab, der Preis hätte sie im Voraus stutzig machen sollen. Im Flur der Wohnung standen Kaninchenställe übereinandergestapelt und schwarz weiße Riesenkaninchen mit sehr großen Schlappohren sahen sie aus dunkelrunden Augen traurig an. Manche kauten hastig ihr Grünzeug.
„Ach, und denn die Karnickel. Ja, mein Sohn hat einen Schlüssel zur Wohnung. Der kommt die morgens und abends füttern. Mit den Karnickeln haben sie aber nichts zu tun, Frollein. Wenn mein Sohn kommt, stören sie sich jar nisch dran.“
Ihr vielleicht 45-jähriger Sohn grinste Nele debil an. Ihr wurde schlecht, und sie lächelte gequält zurück.
„Danke. Dann auf Wiedersehen“, sagte sie. „Ich überlege es mir noch mal...“
Das sentimentale Gefühl, das sie beim ersten Eintreffen in der Berliner Untergrundbahn empfunden hatte, entfacht aus dem einzigartigen Lufthauch, den diese verströmte, war schon verflogen. Es war ein warmer Frühlingstag in Berlin, und die Menschen in den U-Bahnen strömten bereits wieder verstärkt ihren säuerlichen Dunst nach Schweiß und Parfüm aus. Sie hatte nach dieser Wohnungsbesichtigung merkwürdige Laune und drückte sich in der Bahn in einen Eckplatz, Augen zu Boden. Fremde Schuhe im Visier. So eine Dreckswohnung. Das Bett. Die Kaninchenställe. Der Sohn. Unfassbar. Sie musste leise lachen.
Silke Vogten, Ausschnitt aus der Kurzgeschichte "Berlin"
Foto: Andreas Sander
Andreas Sander, Jahrgang 1962, Autor „Der Tag vor dem Mittwoch“, Verlag Neue Deutsche Literatur, Jena Sammelband „Ich Dich nicht“, Verlag Neue Deutsche Literatur, Jena schreibt Kurzgeschichten und Lyrik, fotografiert, fährt Hollandrad, liebt Filme und lebt in Berlin
Berlin,
ick liebe Dir
Februar - der Wind pfiff eisig kalt, auf den Bürgersteigen befand sich eine Zentimeter hohe Eissicht und der Berliner Charme versetzte mich rheinische Frohnatur erstmal in Schrecken. Vom Rhein an die Spree - das war der Plan. Mitten in der Wirtschaftskrise den gut dotierten Job an den Nagel hängen und frei(beruflich) die Hauptstadt erobern. Also begab ich mich auf Wohnungssuche. Wenn schon Berlin, dann auch bitte Altbau mit Stuck, Dielenboden und natürlich Balkon. Ansprüche kann man immer noch zurück schrauben. Die Taube in der Hand war das Ziel.
Wer sich in Berlin auskennt, der weiß, dass man sich besser keine Wohnungen in Wedding oder Moabit ansieht. Ich wusste das nicht und begab mich in Viertel, die den Wunsch nach der Kleinstadtidylle Neuss wieder keimen ließen. Zu spät. Die Wohnung war gekündigt. Der Job auch. Und wenn es mittlerweile auch etwas abgedroschen klingt, weil irgendwie jeder Heine gerne zitiert, so war doch Wahres dran: Der Anfang, der einen Zauber inne hat. Der beschützt und hilft zu Leben.
Völlig erschöpft, durchnässt und den Tränen nahe kam ich von der erfolglosen Wohnungssuche zurück. Eigentlich rief das Bett oder zumindest die Badewanne. Wenn ich so völlig am Ende bin, weiß ich den Genuss von Fastfood und das monotone Fernsehprogramm - an diesem Abend war es Deutschland sucht den Superstar und nein, ich schäme mich nicht dafür, denn ich war völlig am Ende - sehr zu schätzen. Dann kam sie. Die Intuition. Die kleine Eingebung. Und so fuhr ich den Rechner wieder hoch und schaute noch mal im Forum nach Wohnungen. Mutig gab ich noch mal meine Wunsch-Attribute ein und - auf der Erdmannstrasse war sie. Eine wie keine. Eine, wie ich sie wollte. Erdmannstrasse. Das klang nach Hobbingen, Auenland. Hier wollte ich wohnen. In Schöneberg.
März - der Umzug war gelaufen. Die Katzen haben es gut überstanden und ja - ich habe die Hobbitwohnung bekommen. Gerne würde ich beschreiben, dass ich zu den Typen gehöre, die über Nacht die Stadt erobern, sich ins Getümmel stürzen und in Nullkommanix heimisch sind. So bin ich aber nicht. Ich fand mich schon großartig, wie ich mit meinem Fahrrad bis zum Bäcker um die Ecke fuhr und die ersten Schrippen kaufte. Wohl bemerkt beim türkischen Bäcker, der die besten Brötchen im Umkreis macht. Das weiß ich jetzt. Der Radius erweitert sich langsam, denn von der heimischen Basisstation aus ziehen Andi - mein mutiger Mann, der erst vorher einmal für ein Wochenende in Berlin war - und ich die Kreise größer und größer.
Heute - Berlin, wie will man dich beschreiben. Ideal hat eigentlich schon alles zu dir gesagt. Wir sind nun fünf Monate hier und ich habe ein Gefühl von Freiheit, wie es vielleicht grade diese Stadt vermittelt und lebt. Es sind die Kleinigkeiten, die ich mir besonders anschaue und die ich so liebe. Vorgärten, die nicht grad englisch gepflegt sind und damit eine Meute Spatzen beherbergen. Mein farbiger Apotheker, der sehr gelacht hat, als ich Nikotinkaugummis kaufen wollte und meinte - rauchen erdet, das wisse jeder in Afrika. Mein türkischer Bäcker spricht tiefstes Berliner platt; ich habe noch einen echten Kommunisten als Nachbarn und wer meint, dass sich hier irgendwer an Ruhezeiten hält, der ist schlicht weg naiv. Die Balkone sind in liebevolle Kleingärten verwandelt. Ich gehe um die Ecke und kann mir aussuchen, ob ich indisch, vietnamesisch oder italienisch essen will. Sowieso ist irgendwie alles um die Ecke - vom Frisör über den Feinkostladen hin zum Massagestudio (sehr wichtig für mich). In den lauen Sommerabenden setzen sich alle einfach so auf die Strasse und verlagern das Abendessen nach draußen. Regelmäßig kommen Sinti (oder Roma, weiß ich nicht) durch die Strassen und spielen die wunderbare Musik, die ich so mag. Dann werfe ich auch etwas Kleingeld aus dem Fenster und freue mich, wenn wir uns zulächeln. Klingt verklärend? Ist es irgendwie auch. Aber schön. Die Verkäuferin in der U-Bahn mit ihrer Fifty-Fifty-Zeitung präsentiert so professionell, dass ich sie sofort als Messehostesse oder Rhetorik-Dozentin engagieren würde.
Berlin ist aber auch die Stadt, wo die meisten allein erziehenden Mütter ums Überleben kämpfen. Wo es Drogen praktisch an jeder U-Bahn-Station gibt. Plattenbausiedlungen im Ostteil der Stadt erzählen von Hoffnungslosigkeit und Hartz IV. Viele Migranten wandern zwischen zwei Welten und suchen ihren Platz, während sich in Hochschönhausen Neonazis erheben. Scheiße bleibt nun mal braun. Und so pleite wie Berlin ist wohl kaum eine andere Stadt. Chance und Untergang liegen nah bei einander.
Wie soll ich es beschreiben?
Hier ist die Stadt der Querdenker und Freigeister, der Aussteiger und Spießer, der Revoluzzer und der Politiker, der Gescheiterten und Überlebenskünstler. Das ist mein Eindruck. Und dennoch oder trotz allem sage ich: Berlin - ick liebe Dir!
Regina Iglauer
Regina Iglauer, Jahrgang 1972, Autorin „Schneegeflüster“ - best german underground lyrics 2004, Acheron Verlag Lebt, liebt und arbeitet (in) Berlin als freie Journalistin, PR-Managerin und CoachBiografisches
Berlin? Raucherecke
Völlig bekloppt...
Ja, er hat Recht, der Tischnachbar in meiner Kneipe. Das sieht schon bekloppt aus, wenn man seine dicken weißen Wolken in den ansonsten rauchfreien Nichtraucherkneipenhimmel bläst – und keiner beschwert sich!? Der Nachbar ist neugierig, schließlich ist er selbst Raucher. "Was is´n das?", will er wissen. "Eine elektronische Zigarette", ist meine Antwort, und damit beginnt das Erklärspiel, das ich nun seit über zwei Jahren bei fast jedem Kneipenbesuch abspule. Mithilfe meines immer mitgeführten Flyers erkläre ich geduldig die Vorteile: Keine Verbrennung, keine Schadstoffe außer Nikotin, kein Rauchverbot, bessere Gesundheit, billiger als die üblichen Kippen....
Am Anfang meiner E-Raucher Karriere hatte ich noch gehofft, einen Großteil der Raucher von den immensen Vorteilen der E-Ziggi überzeugen zu können. Im Winter, wenn die Qualmer draußen bibbern - oder neuerdings in Bayern - ist das recht gut möglich, wen wundert´s. Aber dann ist da der Sommer mit seinen Biergärten und Raucherecken unter freiem Himmel. Schlechte Karten. "Rauchverbot? Is doch gar nich sooo schlimm..."
Zurück zu meinem Nachbarn - er ist begeistert. Das müsste man sich echt mal überlegen, klingt gar nicht schlecht, er wollte ja immer schon mal aufhören – und dann kommt es, das knappe und immer wieder desillusionierende Schluss-Statement: "...aber irgendwie isses ja doch völlig bekloppt." "Danke, ich hab dich auch lieb", denke ich und blase eine extra dicke Wolke ins Leere...
Jochen Blomberg
Jochen Blomberg, Jahrgang 56, Musiker, 35 Jahre elender Kettenraucher, kann seit zwei Jahren wieder ohne Rauchschwaden komponieren. Mehr dazu: www.smoke-e.de