Editorial

 

Liebe Freunde, Kollegen, Medienschaffende,

wir tanzen. Und lassen tanzen. Denn andere sind einfach besser. Kühnere Schritte. Passablere Posen. Elegantere Drehungen. Erst recht, wenn es heißt: Tango!

Die internationalen Tangoidole Nicole Nau und Luis Pereyra begeben sich aufs Parkett, zeigen, wie es geht, tanzen für uns Alma en pena, die schmerzende Seele, La Mariposa, den Schmetterling. Oder "La Cumparsita", den kleinen Marsch.

Argentinien. Tango. Und dabei immer eine Rose im Mund? Mitnichten. Der argentinische Tanzlehrer Fernando Fernandez erklärt, was ihn am Tango fasziniert - auch jenseits aller Klischees. Und eine Tanzschülerin konzentriert sich auf das Entscheidende - den richtigen Tanzpartner.

Dabei setzt die Fotografin Sonja Allgaier das Gefühl und die richtige Schrittfolge des Tangos in Szene - auch an ungewöhnlichen Orten. Ein Spiel zu zweit.

Lasst uns tanzen!

Eure
Silke Vogten und Flora Jörgens

Foto: Flora Jörgens

Tango lehren

Ein Spiel zu Zweit...

Fernando, was fasziniert dich am Tango?

Tango ist Improvisation und Spiel zu zweit in reinster Form. Außerdem bin ich Argentinier und kenne die Musik und die Geschichte gut - es ist ein Teil von mir. Es war ein langer Prozess zwischen Hass und Liebe, der sich in Leidenschaft verwandelt hat. Als kleines Kind hasste ich den Tango, weil es für alte Menschen war. Es roch muffig und nach Zeiten, die schon vorbei waren. Zum Glück traf mich der Tango später wieder.

Wann?

1996 - seitdem tanze ich Tango.

Worauf kommt es an, wenn man Anderen das Tangotanzen beibringen soll?

Schnell klar zu machen, dass es keine Geheimnisse gibt. Jeder kann das lernen - so wie eine Fremdsprache. Es ist Zeit und es ist Übung.

Was muss man für den Tango mitbringen?

Schuhe, mit dem man gut drehen kann. Gute Laune kann nicht schaden.

Was geht gar nicht?

Flip-Flops...

Was ist das blödeste Klischee über Tango und Tangotänzer?

Der Vergleich mit dem europäischen Tango, diese zackigen- choreographierte Bewegungen. Dass es Leidenschaft pur ist. Blödsinn. Spaß muss sein. Alles andere kann kommen - oder nicht.

Hast du einen Lieblingstango?

Ich mag die Tangoorchester der 40er Jahre. Es sind viele Lieblingstangos... Tinta roja. Aníbal Troilo...

Fernando Fernandez, 39 Jahre, wurde in Córdoba, Argentinien geboren. Er ist ausgebildeter Schauspieler und Diplom Genetiker. 2001 kam er nach Deutschland und ist hier Lehrer für Argentinische Folklore und Tango, er unterrichtet Tango in Köln am Barbarossaplatz. www.tango.fernando-fernandez.de

Foto: Sonja Allgaier. Gustavo R. Ameri y Jorgelina Contreras "Cafe Roma", Buenos Aires Argentina

Tango lernen

...ohne Rose im Mund

Warum gerade Tango?

Hm...Warum Tango.... Wegen der Eleganz und der Unmittelbarkeit... (lacht)

Seit wann tanzt du Tango?

Seit fast zehn Jahren. Aber in unregelmäßigen Abständen. Es kommt darauf an in welcher Stadt ich gerade lebe - und ob ich einen Tanzpartner habe...

Was ist ein Klischee über Tango und Tangotänzer?

Dass man immer eine Rose im Mund hat. Und sich vor Leidenschaft verzerrt und am Ende umbringt. Und dass die männlichen Tangotänzer so unglaublich leidenschaftliche Latinlover sind.

Bist du denn noch keinem begegnet?

Selten.

Und ein Klischee über Tango, welches stimmt?

Es gehört tatsächlich schon eine gewisse Leidensfähigkeit dazu - denn es ist anstrengend. Und man muss sich sehr konzentrieren. Betrunken Salsa tanzen geht. Aber betrunken bzw. beschwipst Tango tanzen? Das ist ein Fiasko. Tango wird nie ein Massentanz, dazu ist er zu speziell.

Wie wichtig ist der richtige Tanzpartner?

Das ist das schon das wichtigste - und auch wie die eigene Stimmung ist. Ein guter Tanzpartner kann die natürlich erheblich beeinflussen... Ein Glück, gerade habe ich einen.

Petra T. ist Tanzschülerin - und lernt immer noch dazu.

Foto: Sonja Allgaier. Miriam Albarrán, Buenos Aires Argentina

Die Fotografin Sonja Allgaier, Jahrgang 1978, lebt und arbeitet in München. Sie verbrachte einige Zeit in Buenos Aires, realisierte dort ihr Buchprojekt "Tango Argentino in Buenos Aires", erschienen bei Terra Magica. Portfolio unter www.sotari.de

Tango furios Teil I

Nicole Nau und Luis Pereyra

Sie tanzen. Leichtfüßig, voller Anmut und Sinnlichkeit. Langsam, tastend in den ruhigen Passagen. Energisch, mit raumgreifenden Schritten, wenn die Musik anzieht. Die Mienen ernst, voller Konzentration. Nur nach rasanten Schrittkombinationen huscht ein Lächeln über ihre Gesichter Zwei Körper, miteinander und mit der Musik vereint. Nicole Nau im leuchtend blauen, geschlitzten Satinkleid, auf zehn Zentimeter hohen Pumps, die Haare zum Zopf geflochten. Luis Pereyra ganz in schwarz, mit 5-Tage-Bart und Entenschwanzfrisur, wie sie in den "Goldenen Zwanzigern" modern war, als der Tango die Welt eroberte...

...Vier Tänze führen Nicole und Luis auf. Alma en pena, die schmerzende Seele, La Mariposa, den Schmetterling. Und "La Cumparsita", den kleinen Marsch. Klassische Tangos vom Beginn des 20. Jahrhunderts als diese Musik noch in den barrios pobres, den Armenvierteln von Buenos Aires, zu Hause war und von den bürgerlichen Schichten in Argentiniens Hauptstadt abgelehnt wurde, lange bevor der Tango über den Umweg Paris auch in seiner Heimat salonfähig wurde. Zum Abschluss tanzen Nicole und Luis den Taquito Militar, den Soldatenstiefel. Ein modernes Stück aus den 90er Jahren. Atemberaubend schnell, mit Drehungen, bei denen man schon als Zuschauer schwindlig wird. Ein berauschendes Finale...

...Luis tanzt seit seinem zehnten Lebensjahr. Er hat im Caño catorce angefangen, damals das angesagteste Tangohaus in Buenos Aires. Seitdem hatte er nur einmal eine andere Arbeit: Während seiner Ausbildung an der Escuela Nacional de Danza trug er Zeitungen aus, um die Studiengebühren aufzubringen. Nicole wollte Malerin werden, setzte dann aber auf einen bürgerlichen Beruf. Sie wurde Grafikerin in einer Werbeagentur. Bis sie sich vor 17 Jahren, noch in ihrer Heimatstadt Düsseldorf, in den Tango verliebte. Sie schmiss den Job und ging nach Buenos Aires, um Tanz zu studieren, so lange das Ersparte reichte. Nach einem Jahr fand sie sich im weltberühmten Teatro Colón wieder. Als Tänzerin in der Oper "Maraton".

Foto: Flora Jörgens. Nicole Nau und Luis Pereyra

Tango furios Teil II

Nicole Nau und Luis Pereyra

Keine leichte Zeit. Als Ausländerin war sie eine Attraktion für die Zuschauer. Und ein Ärgernis für die Kollegen. Beim Vortanzen wurde sie angefeindet, in der Garderobe geschnitten. In Argentinien ist Tango mehr als ein Tanz, er ist Tradition und Lebensgefühl, und niemand wacht eifersüchtiger darüber als die professionellen Tänzer. "Bis sie merkten, dass ich ihre Kultur respektierte und am gleichen Hungertuch nagte".

...In zig Produktionen hat Nicole auf der Bühne gestanden, nicht nur in Argentinien. Als Botschafterin des Tango ist sie um die Welt gereist. Und als die argentinische Post eine Gedenkbriefmarke zum 100. Geburtstag des Tango herausbrachte, wurde ein Bild von ihr ausgewählt - ohne zu wissen, dass sie Deutsche ist. Nicole schmunzelt: "Eine Ausländerin als Symbol des Tangos ist wie ein Japaner als Sinnbild fürs Münchener Hofbräuhaus." Um der Entrüstung die Spitze zu nehmen, schob die Post eine Erklärung nach: Argentinien sei von Einwandern geprägt, wer könne das Land besser vertreten als eine Immigrantin...

Stimmt, findet Luis. "Wo liegen denn die Wurzeln des Tangos? Eher in Europa als in Argentinien." Dann zählt er auf: das Bandoneon, ohne dessen klagende Töne der Tango nicht denkbar wäre - entwickelt Mitte des 19. Jahrhunderts vom Krefelder Heinrich Band. Die Geige kommt aus der Schweiz, der Kontrabass aus Österreich. Das Klavier und die Umarmung wurden aus dem europäischen Gesellschaftstanz übernommen. Absolut folgerichtig, dass eine Deutsche eine argentinische Briefmarke ziert....

...Der Klang der Stadt Buenos Aires: Luis im Smoking, Nicole im blauen Kleid - getanzte Konvention. Der Klang der Tanzfläche. Ein langsamer Tango. Sie bewegen sich wie in Zeitlupe. Drehen sich Wange an Wange um einander. Als stünde die Zeit still. Als gäbe es nur dieses Paar auf der Welt. Weiter geht die Reise in Raum und Zeit. Die argentinische Variante des Stepptanzes. Dann eine Zamba: getanzt in der Distanz, aber ebenso sinnlich wie der Tango. Moderne Tangos und Milongas. Und schließlich El Sonido de un Santiagueño, der Klang eines Mannes aus Santiago del Estero, Luis Heimatstadt. Rhythmus pur, getrommelt auf den bombos. Wild und ungezügelt. Das Finale, die Zuschauer rasen.

Tom Noga

Tom Noga ist freier - und für seine Arbeiten preisgekrönter - Journalist. Er lebt in Köln und am Ammersee. Seine Reportage über Nicole Nau und Luis Pereyra erschien in der Frankfurter Rundschau, hier einige Auszüge daraus.

Nicole Nau. 1963 in Düsseldorf geboren. lebt in Argentinien und ist Tänzerin für Tango Argentino und argentinische Folklore. Nach einem Grafikdesign-Studium arbeitete sie zunächst für Werbeagenturen, bevor sie nach Argentinien umsiedelte und sich zur professionellen Tänzerin ausbilden ließ. 1990 trat sie erstmals im Café Homero auf, 2002 hatte sie mit der Tango-Oper Orestes - Last Tango Premiere. Hier tanzte sie erstmals mit Luis Pereyra, ihren heutigen Lebens- und Tanzpartner. In Zusammenarbeit mit Luis sind die Produktionen El Sonido de mi Tierra, Bailando en Soledad, Secretos de la Danza und El Color de mi Baile entstanden. Tourneen führten u.a. durch Argentinien, Chile, Bolivien, Deutschland, Japan, Russland, Holland, Österreich, Schweiz, Großbritannien und Kanada.

Aktuelle Termine für die Tournee von Nicole Nau und Luis Pereyra "Tango & Más Argentina Total", Oktober 2011: Sa 01.10. 88048 Friedrichshafen, Bahnhof Fischbach / 02.10. Riedlingen Donau, Das Lichtspielhaus / 03.10. 85354 Freising (bei München) Assamtheater Freising / Do 06.10. A-5018 Salzburg, OVAL - Die Bühne im Europapark /Fr 07.10. A-5280 Braunau, Kultur im GUGG / Sa 08.10. A-4020 Linz, Posthof / Mo 10.10. 65929 Frankfurt, Neues Theater Hoechst /Mi 12.10. 50667 Köln, Senftöpfchen Theater (ausverkauft) / Fr. 14.10 Bad Kreuznach, Kreuznacher Loge / Sa 15.10. 51379 Leverkusen, Scala-Club / So 16.10. 53113 Bonn, Pantheon Theater / Do 20.10. 70469 Stuttgart, Theaterhaus / 21.-26.10. Cafe Tango "Special", Wuppertal. Mehr Infos unter www.tangofolklore.com

Foto: Flora Jörgens