Editorial

 

Liebe Freunde, Kollegen, Medienschaffende,

in den Wald - das heißt für diese Ausgabe mit den dunkleren Bildern des großartigen, international renommierten Maler-Duos Alice Stepanek und Steven Maslin.

Es gibt hellere in ihrer Reihe „Magnificent 7“, zwischen Birken und sommerblauem Himmel, aus Perspektiven, die einen zum Träumen bringen. Und mit ganz ungewöhnlichen Formaten wie 90 x 210 cm einen Sog entwickeln, dem man sich als Betrachter gar nicht entziehen kann, wenn man es denn wollte.

Aber ein bisschen gruselig sollte es dieses Mal sein, damit Tanja Webers „Sommersaat“ aufgeht. „Am Saum des lichten Mischwäldchens...“ die Krimi-Textstelle, die so harmlos beginnt, endet hier schon – sagen wir - speziell.

Dem geneigten Leser von „Escapade belles-lettres“, sei natürlich die gesamte Lektüre des Romans empfohlen. Aber auch die Lesung am 17.9. In Raisting am Ammersee, wenn die Autorin auf der Bühne vorträgt. Allerdings nicht aus ihrem eigenen Werk, sondern aus dem ihres Gatten Gregor Weber. Der dafür aus ihrem. Und dazu noch Live-Musik des Streicherensembles Badz. Mehr Info hier unten.

Ein weiteres Debüt in dieser septemberlichen Ausgabe: Markus Verhülsdonk. Entsetzen apostrophiert. Damit es schön rätselhaft bleibt.

Eure,
Flora Jörgens und Silke Vogten

Bild von Alice Stepanek und Steven Maslin, 1-11, 2011, 70 x 120 cm

Alice Stepanek, geb. in Berlin, studierte an der Akademie der bildenden Künste in München und St. Martin’s School of Art, London. Steven Maslin - geb. in London - am Kingston Polytechnic und an der St. Martin’s School of Art. Neben vielen Gemeinschaftsausstellungen, zuletzt 2011: „Young European Landscape“, CHB Berlin und Galerie Wolfsen, Aalborg, waren ihre Werke in zahlreichen Solo-Exhibitions zu sehen, zuletzt 2011 Emmanuel Walderdorff Galerie, Köln. Davor Galerie Jean-Luc & Takako Richard, Paris, Castel Caldés, Caldés, Purdy Hicks Gallery, London.

Waldsee

Ent'setzen

An Teiches Ufer,
frühjahrsabends auf
Schwimmvogelnestern,
sehen wir:
Ent’setzen!

Markus Verhülsdonk

Bild von Alice Stepanek und Steven Maslin, 8-07, 2007, 140 x 100 cm

Mischwald

Sommersaat

Am Saum des lichten Mischwäldchens stieg Stifter ab und schob. Die Wurzeln der Eichen lagen stark und bloß quer über dem kleinen Pfad, der vom Asternweg zum Badesee führte. Es gab von Germerow aus mindestens zwanzig solcher kleiner Pfade, neben dem gekiesten Weg, der am Ende der Ginsterstraße begann. Dort parkten im Sommer die Stadtflüchtlinge und schleppten dann ihre Gummitiere, Kühltaschen und Radios zum See. Es gab nur eine offizielle Badestelle; ein kleiner Sandstreifen, der gegen Ende des Sommers übersät war mit Grillkohle und Kippen, und die einzige schilffreie Uferstelle umgab. Sehr viel weiter hinten, auf der Ostseite des Sees, gab es eine weitere „geheime“ Badestelle, die nur die Einheimischen kannten. Man konnte da allerdings weniger kommod liegen, sondern hatte lediglich eine schmale Einstiegsstelle in das Wasser. Aber Stifter ließ den See und den Kiesweg rechts liegen und orientierte sich in Richtung Osten, Ortsausgang. Linker Hand lag die KGA „Waldesruh“ mit der Datsche der Strelskis. Von hier führten ebenfalls Trampelpfade durch den Wald hinunter zum See oder aus dem Ort hinaus in Richtung Wildnis. Der Wald wurde dort etwas dichter, die Kiefern standen enger beieinander, und es gab unbewirtschaftete Gebiete, wo umgestürzte Bäume, von Himbeerranken und Moos überwuchert, sich zu einem dichten urwaldartigen Gestrüpp verbanden. Ein Paradies für spielende Kinder. Aber außer Adam spielte kaum noch ein Kind unbeaufsichtigt im Wald. Die Jugendlichen mieden die Natur, außer bei ihren nächtlichen Zusammenkünften am See, deren Hinterlassenschaft Stifter jeden Morgen, beim kurzen Erfrischungsbad am See, welches er gegen halb vier einnahm, begutachten konnte. Dosen, Tüten, Kippen, Kondome. Ansonsten bewegten sich in diesem Teil des Wäldchens lediglich Jogger, Pilzsucher und Hundebesitzer. Der Pfad machte eine leichte Biegung zum See hinunter und trotz der lang anhaltenden Hitze in diesem Sommer war der Weg an hier weich, moosig und ein bisschen feucht. Er führte zu einem kleinen Moor, das ursprünglich Teil des Sees gewesen sein mochte. Stifter hatte Mühe, sein schweres Postfahrrad auf dem Weg weiter zu schieben, dessen Kurven immer enger wurden und wo das Wurzelwerk kaum noch den Pfad erkennen ließ. Er bimmelte noch einmal mit der Fahrradglocke und rief Sonnys Namen, bevor er resigniert umdrehte. Er musste manövrieren; sein Rad ließ sich nicht ohne weiteres in die entgegengesetzte Richtung drehen, und Stifter versuchte, das Hinterrad mit dem noch halbvoll beladenen Gepäckträger und den sperrigen Packtaschen mit einer Hand über eine Wurzel zu heben, während er mit der anderen den Lenker festhielt. Mitten in der Bewegung sah er etwas Helles durch die Himbeersträucher blitzen. Helle Haare. Blonde Haare. Weiche hellblonde Haarbüschel. Stifter wollte Sonnys Namen rufen, doch ihm blieb der Ton im Hals stecken. Er ließ vor Schreck das schwere Fahrrad los, das vor ihm zu Boden krachte, aber Stifter hielt sich nicht auf, trat auf die Speichen des Vorderrades, stolperte vorwärts und brach durch das Gestrüpp. Da war er. Sonny. Regungslos. Aber da war nicht nur Sonny. Da war auch Blut. Und Gewebe. Und Knochensplitter. Und Micha. Micha lag am Boden, ebenfalls regungslos. Stifter konnte später nicht mehr sagen, warum er in der Sekunde wusste, dass es Micha war, denn da war nicht mehr viel, an dem man ihn hätte erkennen können, aber Stifter glaubte, es war die auffällige Gürtelschnalle, die ihn annehmen ließ, dass es die Leiche von Annikas Ex-Mann war, vor der der kleine Sonny saß. Auf dem, was mal ein Kopf gewesen und nun nur noch Masse war, hatte Sonny Blumen verteilt, Äste und Gräser. Und nun saß er ganz versunken vor dem Leichnam seines Vaters, sang ein leises, zartes Lied, dessen Text nur er selbst verstehen konnte, und hatte ein versonnenes Lächeln auf seinem freundlichen runden Mondgesicht.

Tanja Weber

S. 29-31 aus ihrem Roman „Sommersaat“, Aufbau Verlag. Tanja Weber, Jahrgang 1966, war in ihrem ersten Beruf Theaterdramaturgin und in ihrem zweiten Drehbuchautorin fürs Fernsehen. „Sommersaat“ ist der erste Fall des Postboten Stifter, weitere werden folgen.

Tanja Weber, Foto: Aufbau-Verlag

Wald und Ammersee

Badz & Crime, Lesung mit Live-Musik

Sie sind ein kriminell kreatives Paar: Gregor Weber, bekannt als Darsteller des Kommissars Deininger im „Tatort“ des Saarländischen Rundfunks und seine Ehefrau Tanja, im ersten Leben Theaterdramaturgin und Serienautorin („Verliebt in Berlin“, „Türkisch für Anfänger“ u.v.a.). Beide hatten schon als Jugendliche eine Leidenschaft für Kriminalgeschichten. Jetzt haben sie jeder selbst einen Kriminalroman geschrieben.
Während Tanja Weber in „Sommersaat“ ihren Postboten Johannes Stifter in einen brutalen Mord verwickelt und selbst zum Verdächtigen werden lässt, betrachtet Gregor Webers Hauptkommissar Kurt Grewe in „Feindberührung“ den blutigen Tod eines Afghanistanveteranen zunächst als tödlichen Betriebsunfall im Drogenmilieu.
Die Autoren lesen wie sie arbeiten: Da keine Seite ohne Rezension des Partners nach draußen geht, nehmen sie auch an diesem Abend den Roman des Gatten ins Kreuzverhör. Tanja Weber liest Gregor Weber - und umgekehrt. Dabei werden sie nicht an Kommentaren sparen und den Zuhörern gerne Auskunft geben, wie das Arbeiten in einer Krimi-Ehe aussieht und ab wann ein Haus zu klein für zwei Autoren wird…
Der Krimi-Experte Reinhard Jahn urteilte bereits in „Focus-online“ über „Feindberührung“: „Einer der besten Kriminalromane, die dieses Jahr erschienen sind.“
Das Streich-Ensemble Badz aus Siegburg/Köln spielt auf Cello, Geige, Bass eine Mischung aus Weltmusik, Klassik, Jazz und Pop.
Am 17.9. im "Ibiza", Raisting am Ammersee, 20 Uhr, Reservierungen: 0176/6292 6569.

Bild von Alice Stepanek und Steven Maslin, 13-10, 2007, 70 x 90 cm

Wald und Moderholz

Reimbrand

Es schwelt und qualmt in mir ein Dichterfeuer
wie von feuchtem
Moderholz,
ich will es schüren,
wärmen soll’s
den Leib und Geist in mir
in der Alltagssprache Eiseskühle,
dass ich Lebensgeister fühle
jenen heil’gen Schwur erneuer’:
lodre, Geistesbliz, und leuchte!

Markus Verhülsdonk

Markus Verhülsdonk ist Musiker, Ton-Techniker, gewiefter Wort-Artist und schlägt sich im Ruhrgebiet durch.