Editorial
Liebe Freunde, Kollegen, Medienschaffende,
Sex sells? Sind wir schon soweit? Mitnichten! Denn »Escapade« ist in diesem Sinne wirklich ein reines Luxusprodukt... ohne drohende Quote, ohne drängelnde Verkaufszahlen, ohne dramatisierende Verleger... Dennoch widmen wir uns in unserer 5. Ausgabe ganz dem Thema Sex. Warum?
Ganz einfach – weil wir Lust dazu haben. Weil bald Frühling ist. Und weil wir eh nix so ernst nehmen… Dafür steht auch das Fragezeichen hinter den schönen drei Buchstaben.
Denn dieses setzten in Gedanken sicher auch die Künstler und Autoren in unserer aktuellen Ausgabe, als sie sich ihrem sexy Sujet näherten. Und das taten sie auf recht unterschiedliche Weise...
So geht der Oberhausener Frank Tentler – Mega-Kommunikator, Zeitgeistsurfer, Podcaster der ersten Stunde und mit seinen Vorträgen über das Web 2.0 heißbegehrt unterwegs – lyrisch verwegen an die Sache ran, um dann ganz pragmatisch wieder damit aufzuhören...
Der Münchner Schriftsteller Stefan Wimmer, den wir bereits in der ersten »Escapade« präsentierten, begibt sich in Sachen Sex schon auf undefinierbareres Terrain und erlebt in den Hinterhöfen Barcelonas seine ganz eigene Erfüllung… Diese hier ist seinem Episodenroman »Die 120 Tage von Tulúm« (Eichborn-Verlag) entnommen. Unser Dank geht an Autor und Verlag
Noch mehr andere Einblicke? Die gewann auch der Kölner Fotograf Dirk Bannert, als ihm erstaunlich Schönes in knallrotem Lack, auf Wahnsinnshacken und unter Divenhüten im Kreuzberger Kultclub SO 36 über den Catwalk entgegenlief. Bei dieser Berliner Modenschau schwelgte »die Kinse« im Motivparadies – abgetanzt wurde erst später...
Und die weibliche Sicht der Dinge? Die bleibt diesmal ganz malerisch.
Viel Freude beim Sehen und Lesen wünschen
Eure,
Silke Vogten und Flora Jörgens
Sex
Scherzend streitend vorbereitend
Erste Fühlung sanfte Kühlung
Lippen zehren zartes Wehren
Sinne lauschen Blicke tauschen
Weiches Tasten ohne Hasten
Worte wirren Seelen schwirren
Herzen tosen Münder kosen
Wie von Sinnen kein Entrinnen
Körper schwitzen zucken fauchen
Winden klammern fesseln rauchen
Bäume schmelzen explodieren
Galaxien kollidieren
Bilden Nebel die umhüllen
Zwei die Einssein sich erfüllen
Weiches Tasten ohne Hasten
Sinne lauschen Blicke tauschen
Sanfte Fühlung erste Kühlung
Erste Sorgen vor dem Morgen
Eng umschlungen Schlaf errungen
Nach Erwachen Frühstück machen
Frank Tentler
Frank Tentler hat – neben all den anderen Sachen, die er so treibt – »ein poetisches Grundbedürfnis…«
Sex?
»Ich mach dir einen Vorschlag«, sagte ich und zerquetschte meine Zigarette im Aschenbecher. »Komm mit ins Hotel.«
»Du sagst Sachen, Blonder!« , rief die Prostituierte und schüttelte lachend ihre Haare, was ich als Einwilligung interpretierte. Wir verließen die Bar und wankten über die Plaza Real, in deren Flutlicht riesige, weiße Vögel wie fliegende Rochen durch die Luft segelten. Burschenschaftsmitglieder mit wappenbestickten Samtumhängen zerstreuten sich singend in den Gassen, Katzen drückten sich die Hauswände entlang auf der Suche nach Nahrung. Die ganze Altstadt wirkte plötzlich wie ein verwunschener, von Geistern heimgesuchter Burgfried. »Wir brauchen es gar nicht erst zu versuchen«, sagte die Prostituierte plötzlich, kurz bevor wir die Ramblas erreichten. »Wir kommen nicht rein in dein Hotel.«
»Wieso denn nicht?«, fuhr ich auf. »Das Hotel ist die ärgste Absteige, die ich je gesehen habe.« Die Prostituierte streichelte mir durch die Haare.
»Glaub mir. Ich weiß es!«, sagte sie.
»Was sollen wir dann machen?«, fragte ich. Sie kicherte und zog mich an der Hand in einen dunklen Hauseingang neben ein paar Briefkästen. Einen Moment später spürte ich ihre Hand in meinem Hosenlatz wühlen. Auch dieser Überraschungsangriff fühlte sich gut an.
»Zur Sache jetzt!«, sagte sie.
Ich küsste sie auf den Mund, streichelte ihre euterförmigen Brüste und knetete ihren athletischen Hintern. Dann fuhr ich mit meiner Hand zwischen ihre Beine, die ebenfalls kräftig gebaut waren. Es dauerte einige Sekunden, bis sich die taktile Information zu meinem Hirn durchgearbeitet hatte: Unter dem Nylonstoff ihrer Leggings spürte ich einen weichen, molluskenhaften Hodensack und eine wurstförmige Ausbeulung, die als zusätzlicher Hohn noch nicht einmal erigiert war.
»Das gibt's doch nicht«, stöhnte ich.
»Jetzt hab dich nicht so, Blonder!« sagte der Transvestit und spie ein Gelächter in die Luft.
Der Transvestit drängte mich an die verschimmelte Wand zwischen die Briefkastenwracks, zog meine Hose herab und kniete sich vor mich hin. In einer Art surrealer Rache versuchte ich, an Hafida zu denken, aber allein der Versuch war zum Lachen. Während der Transvestit an meinem Penis herumfuhrwerkte, hörte ich, wie im ersten Stock eine Tür zugeschlagen wurde. Ein Mann in einem frisch gebügelten Blaumann, vermutlich der Hausmeister des Blocks, polterte die Treppe hinab, montäglichen, sinnvollen Aktivitäten entgegen. Der Transvestit nahm meinen Penis aus seinem Mund, behielt ihn aber wie eine Hundeleine fest in der Hand. Fassungslos starrte uns der Hausmeister an.
»Ihr seid eine einzige Drecksbande«, zeterte er in einem rauen, männlichen Spanisch und stürmte nach draußen. Der Transvestit lächelte entschuldigend, so als ob er die Störung sehr bedaure.
»Mach weiter«, murmelte ich und lehnte mich wieder an die Wand. »Ist eh schon alles egal…«
Bevor die restlichen Parteien des Hauses an uns vorbei defilieren konnten, beeilte ich mich mit dem Orgasmus. Ein paar Feuerwerksraketen explodierten in meinem Kopf und nach 48 Stunden der Hölle stellte sich wenigstens eine wohltuende Erschöpfung ein, so als ob sich in meinem Bauch eine Valiumtablette auflösen würde. Ich ließ meinen Hinterkopf gegen die Schimmelflecken der Wand fallen und schloss die Augen. Langsam ging die Sonne auf und strahlte in den Hausflur. Ich atmete ruhig und betrachtete mit halb geschlossenen Augen das Muster des bröckelnden Wandputzes, das mich an eine georaphische Karte fremder Erdteile erinnerte. Als ich meine Augen wieder öffnete, stand der Transvestiti bereits auf der Straßenseite gegenüber, lief den Bürgersteig der Ramblas wie einen Catwalk auf und ab und warf mir mit der Hand ein Küsschen zu. Die Nacht hatte ihm offenbar gut gefallen. Ich trat ins Freie und ging in Richtung meines Hotels. Nachdem ich 200 Meter zurückgelegt hatte, merkte ich, dass ein beträchtlicher Teil meines Pesetenvorrats fehlte. Er musste mir die Scheine aus der Hintertasche meiner Hose gezogen haben, während er meinen Schwanz im Rachen hatte. Ich erwog kurz, umzukehren und zu reklamieren, aber plötzlich war ich sehr müde. »Sie haben mir keine Tapas gegeben«, dachte ich, »sie haben mir keine Prinzessinnen oder Zwerginnen aus dem Morgenland gegeben, sie haben mir auch sonst keine Frau gegeben, dafür jedoch einen kleptomanischen Transvestiten. Des weiteren haben sie mir zwar sagenhafte 60 000 Peseten gegeben, davon aber 30 000 wieder entwendet.«
Bei den einzigen Plusposten dieser Bilanz (60 000 Peseten, Transvestit) wusste ich nicht genau, ob man sie nicht zumindest als relativen Fortschritt ansehen konnte.
Stefan Wimmer
Stefan Wimmer ist Journalist und Schriftsteller. Der Text ist entnommen seinem Buch »Die 120 Tage von Tulúm«. Mit freundlicher Genehmigung des Autors und des »Eichborn-Verlags«
Berlin, SO 36, Modenschau – Foto: Dirk Bannert
Dirk Bannert, Köln, arbeitet als Fotograf für Magazine, Tageszeitungen und Industrieunternehmen. Mehr unter www.foto-bannert.de
Das meinen die Leser
Anm. d. Red.: Folgendes ist eigentlich auch eine Kleinanzeige. Angebote nehmen wir entgegen :-)
Übrigens habe ich 9 Siloföhn – Heimtrockenhauben – wie auf dem Foto – aus den 60ern – alle fabrikneu originalverpackt, was lässt sich damit wohl anstellen – Anregungen erwünscht… regt da nicht schon die Fortsetzung von »On The Road« an, wenn es doch Sixties-Happening-geprägt sein soll…? Oder wo ließe sich Eskapade besser lesen, als mit frischer saurer Welle vom Starfriseur ausm Veedel unter der Haube – dem Medium entsprechend mit iPad?
Wie auch immer, jetzt kommt endlich mein Glückwunsch zur Eskapade – eine glanzvolle Idee in multimedialem Format, sich mit Themen befassend, denen ich eher nicht so ausführlich nachforsche, gehöre ich doch der Spezies Mann an, deren »Heftchen« sich mit Mikrofonen, Aufnahmetechnik und 19-Zoll-Geschwafel befassen oder die authentischsten Tonabnehmer-Repliken einer 57er Stratocaster, handgewickelt, feiern. Mein einziger Vorstoß in die Geschlechterwelt waren die ersten ausgaben von Menüs Health, wo dann allerdings das Interview mit der Hausdame eines renommierten Hamburger Hotels die einzigen nachhaltigen Spuren bei mir hinterließ, und das, weil ihre Tipps zum Hemdenbügeln (ein vorschriftsmäßig gebügeltes Hemd braucht 7 Minuten) mir bis zum heutigen Tage nützliche Begleiter sind… das war wahrscheinlich nicht das Ziel der Sixpack-Redaktion.
Tolle Fotos! Tolle Töne!
Viel Erfolg für viele weitere Folgen und ein wachsendes Publikum, herzlich, mit lieben Grüßen von Sabine, die mich mit Tee und Süppchen betüddert, Thomas
Liebe Flora und liebe Silke,
jetzt will ich endlich mal ein Feedback zu eurer Escapade geben, bitte entschuldigt, dass ich so lange damit gewartet habe, aber das hat nichts mit negativen Eindrücken zu tun! Ich bin wirklich begeistert von dem Unternehmen. Das Layout ist phantastisch, nicht so überladen und effekthascherisch, sondern klar und harmonisch. Ich fühle mich wohl beim »Blättern«. Ein bisschen stylisch ist es auch und das ist gut so. Überhaupt die Tatsache, das ganze Ding ins Netzt zu stellen begeistert mich extrem. So zeitgemäß und so naheliegend und dann auch noch so gut gemacht - Reeeeespekt! Die Themen und Inhalte finde ich nicht durchgehend super, aber das ist piepegal! Es macht Spaß, sich damit zu beschäftigen und es ist sehr unterhaltsam. Vielen Dank für eine so schöne neue Sache!!!
Ganz herzliche Grüße und einen tiefen Knicks, Susanne
Liebe Flora,
gibt es tatsächlich noch Menschen mit Mailboxen unter 20 MB? Oder Clouduser mit weniger als 1 GB Workspace? So groß sind die Mails ja nun auch nicht und tatsächlich finde ich es schade, das Format – nachdem es ja nun prima funktioniert, das als wichtige Vollzugsmeldung – jetzt bloß für eine weitere Website aufzugeben. Klar, HTML ist simpler zu stricken und vielleicht kann man auch noch den einen oder anderen Werbebanner verhökern, aber das Exklusivitätsmodell mit geschlossener Userliste war doch blasierter, arroganter, elitistischer: also einfach viel netter. Vom Retro-Charme ganz abgesehen und der müsste dir doch ganz besonders am Herz liegen, der Soundschnipsel weist auf jeden Fall tief in die britisch geprägten 80er, als Musik noch von echten Keyboards aus wirklichem Plastik gemacht wurde (welche Band assoziiere ich damit? Human Lague? Heaven 17? Waren die nicht in Teilen sogar identisch? Ach, seit anderthalb Wochen dicker Erkältungskopf, zielgerichtetes Denken sistiert). Schöner Track mit dem Sound meiner Jugendtage jedenfalls (mochte damals übrigens die Housemartins, bin ich jetzt disqualifiziert?). Noch netter ist aber tatsächlich die psychedelische Bandinfo, dafür kriegt man heute wahrscheinlich schon ein FSK18-Rating. Immer freut mich natürlich ein Romantik-Bashing und erst recht ein Tritt in die Weichteile des Hotelgewerbes, schade nur ein bisschen, dass Euch Titus Arnu keine Erstveröffentlichung gegönnt hat. Aber das Neue wird ja überschätzt (nur dieser halbgare Satz zur Plagiatsdebatte um das hässliche Berliner Mädchen mit dem klugen Vater, auch wenn er ein *spuck* Dramaturg ist). Danke auch für den Tritt in die Wellness-Fresse, beglaubigt eins meiner Lieblingshassfelder – angesichts meiner zahlreichen Negativobsessionen durchaus aussagekräftig. Schon. Oder? Nur strukturell vermisse ich etwas einen klaren Abschluss, hört einfach auf. Aber wahrscheinlich bin ich wieder nicht modern genug. Schön emotionales Foto. Bloß wie? In den Spiegel geknipst? Selbstauslöser? Und so herrlich 14-jährig verschmollt. Da streiche ich dir doch gleich das Taschengeld, Achim
Anm. d. Red.: Das Foto war VON Flora Jörgens, das abgebildete Model heißt Melina.
Toll, so eine positive Resonanz auf die alten Sachen! Ich habe mal nachgesehen: 19 mal wurde der Song am Freitag angehört. Das Bandinfo wurde nicht so oft runtergeladen. Die Escapade hat mir auch gut gefallen, abgesehen von einer Winzigkeit (meine Eitelkeit ist Schuld, dass ich das beanstanden muss): Auch ich hatte das Rätsel komplett gelöst, inkl. Teddy Stauffer (Google sei Dank). Davon abgesehen: macht weiter so! Viele Grüße, Jörg
Anm. d. Red.: Schon per Mail bei Jörg entschuldigt!
Das Ding ist schön! Doch, das leuchtet ja richtig und hat mich jedenfalls sofort leselustig gemacht. Die Nr. 1, die du mir geschickt hattest, konnte ich nicht öffnen, Nr. 2 hat problemlos funktioniert. Was ist euer Plan? Ein 5-, ein 7-, ein 25-seitiges Magazin? Schick mir bitte die nächste Nummer! Ich bin gespannt. Lieben Gruß, Ferdi
Anm. d. Red. (unbescheiden): Wir denken an 64 Seiten im Sommer.
In aller Muße habe ich nun den Dessous-Artikel von Petra gelesen… ganz köstlich, ich habe viel gelacht. Schon allein Petras Farbbeschreibungen: Kermit-Grün, Schwimmbadtürkis… Mit Schrecken las ich dabei vom Blitz, der in den Bügel-BH einschlug… Im Sommer für mich also demnächst nur noch ohne Metall… oder mit eingebautem Blitzableiter… Sabine