Editorial

 

Liebe Freunde, Kollegen, Medienschaffende,

eigentlich wollten wir anderweitig unterwegs sein. Aber dann überkam uns der Jahresendzeit-Glamour-Rausch. Wohin also? Köln? Massenware, lauwarmer Glühwein und stinkende Reibekuchenbuden. Letztes Jahr ging es mit Escapade belles-lettres vor Weihnachten immerhin nach New York...

Aber jetzt haben wir mit zwei aktuellen Buchveröffentlichungen tatsächlich eine Direkt-Verbindung zwischen der Stadt am Rhein und der am Hudson. Durch Robin Meloy Goldsby und die Fotografen Dirk Bannert und Klaus Wohlmann. Mehr muss an dieser Stelle gar nicht verraten werden, denn es fängt direkt an zu glitzern.

Und eine Weihnachts-Überraschung für Euch: am 18. Dezember öffnen wir bei einer Lesung jede Menge Päckchen. Und zwar in: Köln. Da gibt es dann:... Überraschung! Jedenfalls keinen lauwarmen Glühwein. Wir stoßen mit Stiel und Stil an, Champagner bitte. A votre santé,

Eure,
Flora Jörgens und Silke Vogten

Foto: Dirk Bannert

Die Autorin des folgenden Textes, Robin Meloy Goldsby, lebt in der Nähe von Köln. Vor dem gerade erschienenen Kurzgeschichtenband "Walzer der Spargelmenschen" hat sie bereits zwei Bücher veröffentlicht: "Piano Girl" und "Rhythm". Eigentlich ist Goldsby Musikerin, hat in verräucherten Kneipen wie in noblen Hotels NYCs Klavier gespielt. Sie schreibt Lieder u.a. für Till Brönner, Curtis Stigers Jessica Gall, hat das Kindermusical "Hobo & Die Waldfeen" verfasst und mehrere CDs herausgebracht. Aktuell, passend zum Buch, "Waltz Of The Asparagus People". www.robingoldsby.com
Am 11. Dezember gibt es von ihr auf Schloss Lerbach in Bergisch-Gladbach wieder ein "Konzert im Kerzenschein", ab 18 Uhr. (mit Dinner Reservierung: 02202/2040)
In der Geschichte "Mr. President" kommt sie für ein Interview beim Radiosender NPR nach New York und gerät noch müde vom Flug erst ins hektische Straßenchaos und dann in eine absurde Geschichte....

New York - Köln

Mr. President Teil I

Lieferwagen, Taxis, schicke Limousinen, Schrottkarren, Busse und Vans, bei denen man die Ursprungsfarbe kaum noch erkennen kann, die Scheiben verschmiert, stauen sich auf der Kreuzung. Eine aufgemotzte weiße Limousine - eine von denen, die angeblich auf dem Rücksitz eine Badewanne haben - bremst scharf, nur Zentimeter vor meinen Füßen. Ist da einer drin? Puff? Daddy?
"Ich versuche, hier rüberzugehen!" kreischt eine aufgebrachte Schwangere, die einen Kinderwagen von der Größe eines Karnevalsprunkwagens vor sich herschiebt. Das Gefährt kippelt auf dem Bordstein, während sie auf die Limousine einhämmert. "Mach bloß, dass du hier wegkommst!"
Die verdunkelte Scheibe rollt herunter.
"Fick dich!" brüllt der Fahrer - eine Frau in einem engen, schwarzen Anzug mit einem kecken Hut. Sie sieht aus wie ein Drehorgeläffchen. "Ich hab hier zu tun. Leg dich nicht mit mir an, Mädel. Hab 'ne Knarre. Lass die Flossen von meinem Auto."
Die Ampel schaltet um. Sie blinkt: WALK, WALK, WALK. Ich frage mich, ob man bei DON'T WALK eher rennen soll. Ich überquere die Straße. Die meisten Leute, die mir entgegenkommen, reden laut auf ihre Handys ein und haben riesige Wasserflaschen dabei. Sie sehen alle zu jung aus, zu dünn, zu durstig. Ein gebrauchtes Papiertaschentuch fliegt durch die Luft, bleibt an meinem Knöchel hängen. Während ich dem übel riechenden Dampf ausweiche, der aus einem Kanaldeckel wabert, bewundere ich den hochhackigen Stakselgang einer Frau in einem genoppten rosa Chanel-Kostüm. Wo sie wohl hingeht? Wo gehen die Leute überhaupt alle hin?
Ich schaue auf meine Uhr und lege einen Schritt zu, um einem Mann auszuweichen, der einen Schwarm Tauben Körner zuwirft, ich wehre den glitzernden konfettiartigen Körnerregen ab, der auf mich niederprasselt. Sieht aus wie Sternenstaub, ist es aber bestimmt nicht. Ich frage mich, wie ich jemals hier leben konnte - oder warum ich jemals weggegangen bin.

Als ich die Ecke Second Avenue und 42nd erreiche, wird der Grund für den Stau ersichtlich. Der Verkehr wird weiträumig um das NPR-Gebäude herum in Nebenstraßen umgeleitet. Muss wohl jemand Wichtiges in der Gegend sein. Oder ein Filmteam. Ich schaue hoch, in der Hoffnung, Toby Maguire an einem Fensterbrett hängen zu sehen und laufe in meine Presseagentin Nina Lesowitz hinein. Ich liebe Nina. Sie ist optimistisch, begeistert und erbarmungslos. Genauso, wie eine Presseagentin sein sollte. Und noch viel mehr.
"Ist das aufregend, oder was?" begrüßt sie mich.
"Was? Die Sendung? Ich bin ziemlich nervös."
"Vergiss die Sendung! Irgendwer Wichtiges ist hier."
"Hier? Beim NPR? Wer denn?"
"Keine Ahnung, die Sicherheitsleute sagen nichts. Vielleicht Bush!"
"Oh, toll."
"Vielleicht auch Mandela! Oder Springsteen."
"Ich glaube nicht, dass sie für einen Musiker den Verkehr umleiten würden, Nina."
"Aber wenn es die Streisand ist! Oh mein Gott, ich würde sterben! Hey, was ist das auf deiner Jacke? Es glitzert. Du machst aber auch immer verrückte Sachen."
Ich schwanke vor Müdigkeit, an meiner Ferse fühle ich eine Blase. Ich muss den geheimnisvollen Prominenten vergessen und mich auf meinen Auftritt konzentrieren. Kann ich auf Befehl reizend sein, vor Millionen von Zuhörern?
Ein kräftiger Mann mit einem Clipboard hakt unsere Namen ab, sieht sich unsere Ausweise an, spricht in sein Funkgerät und schickt uns in die Lobby.
"Wer ist der Promi?" ruft Nina ihm über die Schulter zu. "Ich hasse das. Ich hasse es, nicht Bescheid zu wissen!"
"Kann ich nicht sagen, Lady. Tut mir leid. Darf ich nicht."
Wir fahren mit dem Aufzug hoch zum Studio. Kräftige Sicherheitsleute umringen uns.
"Oh, oh, oh! Wer ist es bloß?" Nina wischt Glitzerkörnchen von meiner Jacke.
Wir werden dem Toningenieur vorgestellt, der uns mitteilt, dass Jennifer Luden in Washington das Gespräch mit mir per Konferenzschaltung führen wird. Ich versuche, cool zu bleiben, aber die Vorstellung einer Schaltung irritiert mich.
"Vielleicht ist es Cher!" sagt Nina.
Ich überfliege meine Themenliste.
"Oder der Papst!"
Der Toningenieur justiert meinen Kopfhörer, und wir machen eine kurze Stimmprobe.
"Vielleicht sind es Paul und Heather!"
Ich bemerke einen kleinen Kaffeefleck auf meinem Hosenbein. Wenigstens ist das hier nicht Fernsehen.
"Oder Dick!"
"Dick?" frage ich.
"Cheney!"
"Ach ja. Dick." Meine Hände sind feucht. Und mein Hals ist trocken. "Nina, ich könnte ein Glas Wasser gebrauchen."
"Und wenn es Madonna ist? Gott sei Dank habe ich meinen Fotoapparat dabei. Wir müssen Fotos machen."
Der Toningenieur scheucht Nina in die Regie, und ich mache eine Stimmprobe mit Jennifer in Washington. Es kann losgehen. Mein Gesicht glüht. Ich komme mir vor wie im falschen Film.
Gerade als der Toningenieur die Aufnahme starten will, springt Nina von ihrem Stuhl auf und winkt wie wild mit den Armen.
"Einen Moment noch, Robin", höre ich den Toningenieur im Kopfhörer.
Ninas Mund geht auf und zu. Dann zeigt sie in Richtung Lobby. Ich versuche, sie zu ignorieren.
"Fünf, vier, drei, zwei -"

Foto: Dirk Bannert

New York - Köln

Mr. President Teil II

Bill Clinton. Das hat sie also gesagt. Ich schaue durch die dicke Glasscheibe und sehe sein weißes Haar hinter einem Aktenschrank hervorleuchten. Entweder ist er es oder der Weihnachtsmann.
"Läuft", sagt der Toningenieur.
Jennifer begrüßt mich. Ich antworte mit meiner schönsten Medienstimme, die habe ich die letzten Monate über perfektioniert. Nina verrenkt den Hals, um zu sehen, was drüben bei Clinton los ist. Ich fühle mich, als ob mein Gehirn von einer Axt gespalten würde.
Ich laviere mich durch das Interview und bin recht amüsant, obwohl mir der Schweiß den Rücken runterläuft. Es gibt eine kurze Pause - ein Assistent reicht mir einen Text aus dem Buch zum Vorlesen herein. Als die Tür aufgeht, höre ich, wie Clinton sein Interview im Nachbarstudio aufnimmt. Er äußert sich eloquent zur Tsunami-Soforthilfe und der Krise im Mittleren Osten.
Jennifer und ich fahren in unserem Interview fort, und ich erzähle, dass ich einmal für eine Dentalimplantate-Konferenz im Marriott Marquis gespielt habe. Klimper, klimper, klimper.
Ich versuche, echt nicht daran zu denken, dass der frühere Präsident der Vereinigten Staaten nur ein paar Meter entfernt von mir sitzt. Während einer der Pausen bin ich versucht, an die Wand zu klopfen, tue es aber nicht.
Nach der Sendung begleitet man uns in eine Lounge und ermahnt uns, die Finger vom Essen zu lassen. Nina schnappt sich sofort ein Bagel.
"Ich verhungere", nuschelt sie.
"Lass uns von hier verschwinden!" sage ich. Wir werden im Jarvis Center zu Cocktails und zum Büchersignieren erwartet.
"Bist du verrückt? Wir müssen hierbleiben. Ich will unbedingt ein Foto von mir mit Bill Clinton haben." Sie holt einen Lippenstift aus der Tasche.
"Nina, sie lassen uns sicher nicht in seine Nähe. Und außerdem fühle ich mich damit nicht wohl. Vielleicht sollten wir einfach gehen."
"Bist du verrückt? So eine Gelegenheit ergibt sich nie wieder. Wir bleiben!"
Wir hängen vor dem Aufnahmestudio herum. Man hat uns angewiesen, uns nicht nach vorne zu drängen, wenn der Präsident den Raum betritt.
Er betritt den Raum.
Nina schiebt sich durch eine kleine Menschenmenge nach vorn und zerrt mich hinter sich her.
Die NPR-Leute stehen um den Präsidenten herum, stellen ihm geistreiche und intelligente Fragen. Clinton antwortet, während er Exemplare seines Buches signiert. Ich habe schon viele Promis erlebt, aber noch nie einen mit so viel Charme. Die Neonlampen des Büros lassen uns in einem grünlichen Licht erscheinen, aber er ist ein Golden Boy, in ein warmes rötliches Licht getaucht. Ich schaue mich um, fast könnte man meinen, im Hintergrund stünde ein Techniker für Spezialeffekte und beleuchte ihn, nur ihn.
In dem Moment schaut er mich an, lächelt und nickt.
"Können wir ein Foto haben, Mr. President?" sagt einer vom NPR.
"Na klar."
"Das ist unsere Chance!" sagt Nina.
"Nina, das können wir nicht machen. Das ist für die NPR-Leute. Wir können uns nicht einfach in ihre Fotosession drängen."
Aber schon werde ich nach vorn geschoben, und Nina stellt uns vor.
"Mr. President! Das ist Robin Goldsby!" sagt Nina. "Sie hat ein Buch geschrieben! Genau wie Sie."
"Wie geht es Ihnen, Mr. President?" sage ich. Wir geben uns die Hand. Und jetzt? Ich merke, wie Panik in mir aufsteigt. Was soll ich denn jetzt sagen? Nette Krawatte? Das mit dem Tsunami war gut? Was bloß?
Ich spreche viel zu laut und höre mich an wie die Drittplatzierte beim Schönheitswettbewerb zur Wahl der Miss Altoona: "Danke, Mr. President, für alles, was Sie tun, um unserer Welt zu helfen."
Stille.
"Gern geschehen", sagt er. "Woher kommen Sie?"
"Aus Köln, Deutschland. Aber ich bin Amerikanerin. This land is my land."
Stille. Wo ist Woody Guthrie, wenn man ihn braucht?
"Köln? Schöne Stadt. Die haben da diese große Kathedrale, oder?"
"Ja", sage ich, "das ist der Dom."
"Der Dom?"
"Der Dom."
Stille. Ich suche krampfhaft nach etwas Faszinierendem, dass ich ihm mitteilen kann. Ich senke meine Stimme und beuge mich zu ihm. "Wissen Sie, da sind die Heiligen Drei Könige beerdigt."
Stille. Ich habe eigentlich gar keine Ahnung, ob die Heiligen Drei Könige dort begraben sind. Was ich über die Heiligen Drei Könige weiß, beschränkt sich auf Gold, Weihrauch und Myrrhe. Mehr nicht. Ich weiß viel mehr über die Drei Tenöre oder die Three Stooges als über die Heiligen Drei Könige.
"Wie sie von Bethlehem nach Köln gekommen sind, kann ich mir gar nicht vorstellen. An der Krippe links und dann nach Norden, denke ich." Ich erwäge kurz, den Refrain von "We Three Kings Of The Orient Are" zu summen, lasse es aber doch lieber bleiben.
"Wow, das ist interessant. Das wusste ich nicht", sagt er. "Hey, Bernie, hast du das gehört? Die Heiligen Drei Könige sind in dieser großen alten Kirche in Köln beerdigt." Bernie schreibt irgendetwas in ein kleines Notizbuch. Bill Clinton dreht sich wieder zu mir um. "Also, Sie haben ein Buch geschrieben?"
"Oh, ja. Es heißt 'Piano Girl'. Es handelt vom Klavierspielen in, Sie wissen schon, Bars und Lounges."
"Und es ist zum Schreien komisch!" ruft Nina. "SIE ist zum Schreien!"
"Sie sind also Musikerin?" fragt er.
"Ja, Mr. President. Genau wie Sie", sage ich.
"Und Sie sind hier, um Ihr Buch zu promoten?" sagt er.
"Ja, Mr. President. Genau wie Sie." Ich höre mich an wie ein Papagei. "übrigens, Ihr Buch soll ja fabelhaft sein." Ich habe das zwar noch nirgends gehört, denke mir aber, es kann nicht schaden, so was zu sagen.
"Danke! Ihnen alles Gute", sagt er.
"Ihnen auch, Mr. President."
Ich überreiche ihm ein Exemplar meines Buches. Nina fotografiert uns beide. Ich mache ein Foto von ihm und Nina. Ich fürchte, sie wird ihm gleich vorschlagen, mit uns bei Bloomingsdale's Schuhe kaufen zu gehen, aber seine Entourage scheucht ihn zum Aufzug.
Bevor sich die Türen schließen, winkt Clinton mir zu. Und ich höre, wie er zu seinen Mitarbeitern sagt: "Wisst ihr, diese Heiligen Drei Könige sind der großen alten Kathedrale in Köln beerdigt."
Stille im NPR-Büro.
"Echt?", fragt Nina mich. "Ist ja zum Schreien!"

Robin Meloy Goldsby

Auszug aus der Kurzgeschichte "Mr. President" erschienen in "Walzer der Spargelmenschen" (2011, Verlag Bücken-Sulzer) von Robin Meloy Goldsby. www.buecken-sulzer.de

Foto: Klaus Wohlmann

"Köln - Wege, Bilder Gedanken" von Klaus Wohlmann (Fotos) und Klaus Haas (Texte). Die Wanderung führt an vertraute wie weniger bekannte Orte in Köln im praktischen Kleinformat (13,5cm x 15,3cm). Klaus Wohlmann, Jahrgang 1963, geb. in Köln, arbeitet seit 1993 als freischaffender Maler und Fotograf. Bei einer Ausstellung lernte er Klaus Haas kennen. Für ihn ist Lyrik Freiraum und Ausgleich zum realen Leben. www.klauswohlmann.de

Foto: Klaus Wohlman

Köln - New York

Statt Glühwein

Die "Escapade belles-lettres"-Weihnachtsfeier findet am Sonntag, den 18.12.2011 in der Fiffi-Bar, Köln-Südstadt, Severinswall 35, ab 19 Uhr statt. Mit Texten, Bildern und Musik. Außerdem servieren wir Euch Weihnachtsleckereien und öffnen einen Sack mit Präsenten. Wer nicht leer ausgehen möchte, der kann vorab reservieren unter 0176/62926569.
Mit dabei sein wird u.a. Dirk Bannert, bei dem wir uns an dieser Stelle schon einmal bedanken wollen für seine Fotos, die er bei unseren Entscheidungen in letzter Minute, immer geduldig aus dem Archiv fischt. www.foto-bannert.de

Foto: Dirk Bannert