Editorial

 

Liebe Freunde, Kollegen, Medienschaffende,

wir wünschen uns weg, weit weg, von Hustensaft und Grippetabletten. Wohin also mit unserem Fernweh? Wir haben es in diese Ausgabe gepackt.

Keine ausgetretenen Pfade in Escapade belles-lettres. Keinen malerischen Sonnenuntergang, keinen puderzuckerweißen Strand, kein pittoreskes Dorf. Obwohl es einfach wäre, denn sentimentale Urlaubsfotos haben wir zuhauf. Aber Silke will Sonne, Flora Schnee, und wovon träumt Ihr?

Wir landen aber tatsächlich ganz woanders.
Der Musiker Rolly Brings hat ein zweites Buch veröffentlicht: CoLOGneBUCH II ist ein lyrischer Stadtführer mit Texten, die zwischen 1974 und 1990 an Plätzen in Köln entstanden sind. Eine Generation später fotografiert von Michael Maye, zwischen 2008 und 2010, und damit sehr überraschend inszeniert.

München-Stadtführer Achim Wigand, hier in Person, bietet uns einen sehr privaten Einblick in seine Montenegro-Recherchen. Der u.a. in La Palma preisgekrönte Fotograf Karlheinz Jardner, der vom fünften Kontinent zurück gekehrte Abenteurer Dirk Bannert und Graphiker Reiner Resch liefern Bilder und keine Stereotypen.

In dem Sinne monoman schicken wir Euch auf die Reise.

Eure,
Flora Jörgens und Silke Vogten

 

Fotos: Welle von Karlheinz Jardner, Fußspuren von Dirk Bannert

Karlheinz Jardner, geb. 1953 in Westerholmfeld, aufgewachsen im Ruhrgebiet war Postbeamter, Maschinenschlosser und Dachdecker, bevor er ein Fotodesignstudium an der Folkwangschule Essen aufnahm und 1984 mit einer Reportage über Bodybuilder beendete. Seither ist er erfolgreich als Fotodesigner tätig, www.jardner.de Dirk Bannert ist Haus- und Hoffotograf bei Escapade. Weil’s spannender ist, als Haus und Hof zu fotografieren, reist er lieber vom Niederrhein durchs Ruhrgebiet bis nach Australien www.foto-bannert.de

Fernweh I

Verschwunden

Als sie durch die Gärten spazierten
flogen die grünen Papageien
am violetten Winterhimmel

Ein kleines Geschrei krächzte
unheilvoll in den nackten Ästen

Sanfte Kälte
hielt beide umschlungen
und auf ihren Gesichtern
lag das seltsame Lächeln
der Liebenden
die ein Meer goldener Blätter
nur für sich ausgebreitet sehen

In der Wärme
gläserner Gewächshäuser
bestaunten sie mit kindlicher Freude
Pflanzen weit entfernter Länder
eine winzige Kakaobohne
verhieß ihnen hundert Reisen
durch die Tage der Zukunft

Später
verschwanden sie in der Nacht
um den Rausch
der Sinne zu suchen.

Ich habe sie nie wiedergesehen

Silke Vogten

Foto: Ägypten 2005 von Reiner Resch

Fernweh II

Ich packe meinen Koffer und nehme mit...

Dem pauschalreisenden Strandtouristen ist’s egal – er braucht seine Badehose, ein „Bier-formte-diesen-wunderbaren-Körper“-T-Shirt und für kühle Abende vielleicht noch ein „Koma-08-Lloret“-Sweater, alles andere liegt von der Zimmermaid bereit im All-Inclusive-Hotelbett oder kann für schale Münze in kaum nennenswerter Qualität an der Strandbude erworben werden. Der Individualreisende, womöglich noch von Outdooraktivitätsdrang beseelte Individualreisende, tut sich deutlich schwerer – in der präsumtiven Wildnis, in die er sich aufmacht, muss alles zur Hand oder wenigstens am Mann, mindestens aber im Auto sein. Zeit also für die Fragen an den Experten – den notorischen Reisebuchschreiber, unterwegs im Dienst des Lesers an entlegene Enden der Welt – was denn so unbedingt hinein muss, in den Koffer, das Topcase oder die Satteltaschen.
Ganz wichtig vor allem: Ein Berg von Elektronik. Ohne Digitalkameras – eine Spiegelreflex samt üppig bestücktem Objektivkoffer und eine kleine immer-dabei-Knipse für die Bergtour müssen schon sein – stehen im Buch nur Buchstaben, die Bildredaktion mopst sich und der Verlagschef schimpft. Für die zu erwartenden Bildermengen, die steten Mahnungen des Chefs nach reichlich Motivauswahl im Ohr, eine Handvoll Speicherkarten. Inklusive Adaptern. Für die riesigen Landschaftsportraits, es gilt schließlich ein A5-Überformat zu illustrieren, packe ich sicherheitshalber noch ein stabiles (i.e. mörderschweres) Stativ ein. Zur Datensicherung noch eine externe Festplatte, theoretisch kann man ja einmal eine Speicherkarte verlieren. Integrale Schnittstelle des modernen Reisejournalisten ist natürlich ein tragbarer Computer (17‘‘-Screen Minimum, damit man schon mal vor Ort sieht, welche Bilder der Verlagschef besonders misslungen findet). Obligatorisch sind ferner noch jede Menge Netzteile und Ersatzakkus – hat ja nicht jede Schutzhütte Strom. Telefon (Zweitgerät für die Auslands-SIM ganz wichtig) und UMTS-Karte sind Pflicht, der heimisch vernetzte nachgeordnete Bereich von Lektor bis Marketing muss ja stets mit dem Neuesten versorgt sein.

Über diese basale Grundausstattung kann man freilich schon einmal die Grundregel des Hitchhiker Guides through Galaxy vergessen: Nie ohne Handtuch in den Weltraum! Und schon gar nicht nach Osteuropa. Egal, kann man ja schließlich im nächsten Hotel klauen, wir sind ja schließlich lockere Hippievögel mit einem sehr kommunitaristischen Eigentumsbegriff. Schade halt, wenn die erste Übernachtung wegen läppischer Inkongruenzen von Zeitplan und Berufsethos von Zöllnern – jahaha, so was gibt’s noch, geschmeidig über Staatsgrenzen flutschender EU-Bürger! – in einem doch elementaren Fernfahrermotel bei Subotica vollzogen werden muss, dass leider über keine Duschen verfügt und deshalb nur handtellergroße Trockentücher bereitlegt. Ein paar Tage später versuche ich dann, meinen aufgeschwemmten Körper (Gastrorecherchen!) mit diesen Frotteezipfeln trocken zu tupfen. Die Kinder am Strand lachen. Für den Wechsel von Bade- zur Alltagsgarderobe (auch nur kurzfristige Entblößungen primärer Geschlechtsorgane sind an den Stränden Ex-Jugoslawiens gar nicht gern gesehen) bastele ich mir aus einem langen USB-Kabel und den beiden Läppchen eine Art Lendenschurz. Sieht sehr nach Sumo aus, wohl auch wegen meiner fetten Wampe (Gastrorecherchen!!) und hält auch eine erstaunliche Anzahl von Zehntelsekunden. Die Kinder am Strand weinen.

Wenigstens finde ich dieses Jahr alles ohne große Umwege und Irrfahrten, denn ich habe aufgerüstet. Mein handlicher GPS-Empfänger, für die digitale Aufzeichnung von Wanderungen Grundausstattung jedes Müllerbuchschreibers, stammt aus den oberen Regalbrettern des Sortiments und kennt sogar montenegrinische Feldwege. War auch gar nicht teuer, in einer chinesischen Sonderwirtschaftszone zum halben deutschen Ladenpreis geordert. Das Zeichen für „Sprache“ habe ich auch schon nach wenigen Wochen herausbekommen und die Benutzerführung von Mandarin auf Österreichisch umstellen können.
Der größeren Empfangssicherheit wegen habe ich mir noch – selbstredend händisch aus Basiszutaten aus dem Conrad-Katalog, auch bei mir ist Finanzkrise – eine externe Antenne zusammengelötet. Völlig unerwartet funktioniert sie auch noch tadellos. Schade halt, dass ich sie beim Kaffeetrinken an einer Tanke in Ungarn liegen lasse. Das ärgert mich aber nur kurz, denn schon zwei Tage später vergesse ich mein Navigationswunder auf dem Autodach und werfe es mit dem nächsten Beschleunigungsvorgang dem nachfolgenden Lkw vor die Riesenreifen. Was soll ich da mit einer externen Antenne?

Sine qua non ist ohne Frage allerbestes Schuhwerk, erst recht, wenn Wander- oder Trekkingtouren auf dem Rechercheprogramm stehen. Zum Wandern ist es aber an der Adriaküste gerade zu heiß und deshalb tue ich in Rom wie die Römer, resp. in Montenegro wie die Montenegriner, flip-flop rules. Schade halt, dass nach ein paar Tagen meine von Bundeswehrstiefeln weiland plattgelatschten Füße der modischen Mimikry nicht mehr standhalten und so schleiche ich demütig gesenkten Haupts in ein Schuhgeschäft.
Für ein Spottgeld bekomme ich ein Paar todschicke Treter aus mittelfränkischer Produktion – wer weiß, vielleicht sind sie sogar echt. Natürlich in Orange, ich habe einen ästhetisch fragwürdigen Fimmel für diese Farbe. Macht mich nämlich noch bleicher. Aber was heißt hier bleich: Nach nur wenigen Tagen direkter Exposition unter die heiße Mittelmeersonne wirft die Haut meines rechten Unterarms viele kleine Bläschen und meine Schultern haben nach der unangemessenen Verwendung eines Muscleshirts (welche muscles übrigens? Da sieht man nur die Folgen von Gastrorecherchen!!!) ziemlich genau die Farbe reifer Maulbeeren. Sonnencreme mit LF über 15 oder gar Sunblock halten die hiesigen Geschäfte kaum feil – der zünftige Sonnenbrand gilt den serbischen Touristen immer noch als Statussymbol – und mitgenommen habe ich auch keine. Mit zwei Multitools am Gürtel hielt ich mich für alle Naturunbill gut gerüstet.
Mit meinen neuen Schuhen – hab ich das schon gesagt: total schick! und orange!! – mache ich mich am nächsten Tag auf in die Ruinenstadt von Svac, da fehlen noch Bilder. Es ist wieder glühend heiß und deshalb verzichte ich, obwohl das Gelände anspruchsvoll aussieht, auf die trittsicheren Bergstiefel. Die sind ohnehin noch neu (also richtig nietennagelneu, ungetragen. Einlatschen habe ich irgendwie nicht mehr geschafft) und blau, klarer Nachteil. Schade halt, dass ich deshalb in eine Felsspalte rutsche und meinen großen Zeh dort fachgerecht verdrehe. In wenigen Stunden wird er lichtblau angelaufen sein (passt jetzt farblich prima zu den Bergstiefeln, wegen des Hämatoms aber nicht mehr hinein). Lohn der Plackerei: Die Luft ist dunstig, die Fotos haut mir der Verlagschef wegen Dunst und fehlender Menschenmassen bestimmt auch wieder um die Ohren, und die Spinnen in den Netzen zwischen den Mauerresten sind, brrr!, fast untertassengroß. Für den Weg durch die Ruinen habe ich fast eine Stunde gebraucht, wenigstens habe ich für die sehr anstrengende und gar nicht ungefährliche (s.o.) Runde ohne jedweden Schatten kein Wasser mitgenommen und stehe kurz vor dem Dehydrationskollaps. Zigarrengroße (Gran Corona) Heuschrecken flattern um meinen Kopf.
Nach der Pleite mit meinem angeschwollenen Zeh – vielleicht sollte ich ihn mit einem USB-Stick schienen? Davon habe ich immerhin vier Stück dabei – entfällt mein umfangreiches geplantes Wanderprogramm in Prokletije- und Durmitorgebirge und ich mache mich nur etwas getreten und verbrannt (alles wegen der Fotos! Hörst du, Verlagschef?) auf den Rückweg. Nicht allerdings, ohne in einem wirklich niedlichen Hotel mein Necessaire liegen zu lassen. In Plav, kurz vor dem Ende der Welt (das Ende, wenngleich ein atemberaubend Schönes, ist in Gusinje; da verliere ich bloß meinen Ersatzschlüssel fürs Auto). Die Hotelbetreiber finden das am Telefon auch schade, aber zur Post, nein, das ist so schrecklich kompliziert.
So macht das der Profi: Elementare Utensilien vergessen (s.o.), dann etappenweise Ballast abwerfen, aber nur das Wichtigste (s.o.).
Fährt vielleicht zufällig jemand nach Plav?

Achim Wigand

Achim Wigand, Reisebuchschreiber und Escapade-Autor der ersten Stunde, hat ihn nach all den o.g. Problemen doch noch fertig gestellt, den „Reiseführer Montenegro“, 264 S., 15,90 E, www.michael-mueller-verlag.de

Foto: Ägypten 2005 von Reiner Resch

Reiner Resch, Jahrgang 54, wurde in München geboren und lebt in Köln. Er zeichnet und gestaltet im Auftrag seiner Brötchengeber als Graphiker. Gern zückt er aber auch die Kamera.

Foto: Bring mich nicht auf die Palme von Flora Jörgens

Fernweh III

Nur für dich

Geh vor die Tür, wenn du dich finden willst. Nimm nichts mit außer deinem Heimweh, das die Maske des Fernwehs trägt. Spätestens am Niehler Haften wirst du merken, dass Nützlichkeit nicht alles ist & Wahrhaftigkeit verdammt kompliziert sein kann. Schau, die Schiffe tragen Wimpel: Nur für dich. Stromaufwärts der Messeturm vor Wolkengebirgen: Nur für dich. Frag nicht lange. Nimm es einfach hin. Sicherheit bietet niemand, auch du nicht. Geh vor die Tür, wenn du vor dir flüchten willst. Wetten, dass du dich unter der Zoobrücke einholst?

Rolly Brings

Zoobrücke von Michael Maye

Heimweh

Urteil

Punkt zwölf, beim Glockenspiel, betrete ich das Rathaus. In der Piazzetta sitzen sie unter der Wolke zu Gericht, sehen aus wie Tote & drohen mit dem Eintrag ins Goldene Buch der Stadt. Schuldbewusst, aber stur, besinge ich die mythenneblige Ferne nördlich der fordwerklichen Feste, die sagendunkle Fremde südlich des petrochemischen Walles, das wuppermündige Niemandsland östlich der bayerkreuzigen Wehrsiedlung & auch die erdfressende & wolkenballende Ebene westlich der ballversessenen Gladiatorenstätte. Meine Gesänge lassen die Narrenkappen & Mienen der Troglodyten entgleisen. Eine rotweiße Taube setzt sich auf die Nase des kölschen Boor & verkündet das Urteil: lebenslängliches Heimweh.

Rolly Brings

Rolly Brings, Jahrgang 1943, besingt & beschreibt seit einem halben Jahrhundert seine Geliebte CCAA, was Disharmonie keineswegs ausschließt. Michael Maye, geboren 1965, machte als Zehnjähriger sein erstes Foto. Mit zwölf hörte er auf, die Fotos zu zählen. Ralf Liebe, ebenfalls 65er Baby-Boomer, macht Bücher, weil er es nicht anders kann und das auch gerne mit Rolly Brings. Auszug aus: CoLOGneBUCH II, 15,- Euro, 274 S., www.verlag-ralf-liebe.de

Foto: Ägypten von Reiner Resch