Editorial

 

Liebe Freunde, Kollegen, Medienschaffende,

Wir zünden die Lichter an und verschwinden in der Mega-City.
Rauf in die Lüfte. Runter in die Straßen. Abtauchen in New York.
Der Weihnachtsbaum vor dem Rockefeller-Center in Manhattan war noch nicht erleuchtet, aber der Shoppingexzess schon in vollem Gange. Century 21 und Black Friday. Guggenheim und Chinatown. Loreley und Lipstick.

In der aktuellen Escapade zeigen wir N.Y. postcards, prosaische und visuelle Schnappschüsse vom Big Apple.
Und auch, wie der Kölner Dom nach New York kam.
Alles bleibt aufregend.

Eure,
Silke Vogten und Flora Jörgens

NY postcards

 

 

Mr. Rockefeller

John Davison Rockefeller Junior, (1874 -1960) war das fünfte Kind und der einzige Sohn von John D. Rockefeller (Sr.), dem Gründer der Standard Oil – einer der reichsten Amerikaner seiner Zeit. Man erfährt einiges über den Junior, wenn man mit dem Aufzug hochgeschossen wird, hoch zum „Top of the Rock“, auf das Rockefeller Center, dem zehnthöchsten Gebäudes New Yorks. Er ließ es während der Weltwirtschaftskrise Ende der 20er bauen. Auf dem Weg nach ganz oben, kann man an den Wänden seine Fotos sehen, kann lesen, wie er war… 1901 heiratete er Abigail Greene Aldrich, genannt „Abby“, Tochter eines Senators. Er und Abby liebten die Kunst und hatten eine Haus voller Kunst, das so groß war, dass sie sich darin manchmal verliefen. Aber Rockefeller Junior verachtete den (gewagteren) Kunstgeschmack von Abbey so sehr, dass er Mauern zwischen ihrer und seiner Kunst errichten ließ. Er galt übrigens als Philanthrop.
(Rockefeller Center, Fifth Avenue, Midtown)

 

Lipstick

These Postcards and a poster? That’s 12 dollar 50.
- Yes. Please.
- I really like your lipstick.
- Excuse me?
- I really like the color of your lips, looks great.
- Oh...Äh...Thank you. This is nude.
- I like it...
(Guggenheim Museum, Giftshop, Dialog mit einem männlichen Verkäufer)

 

Die Chinesin

Auf der Suche nach einem Postamt laufen wir die Bowery runter, die Zeit drängt. Wir verlieren schon wieder die Orientierung. Sie sitzt da, Ecke Canal Street. Thront erhöht in ihrem Stand, an dem sie Süßigkeiten, Getränke, Tabak und Kuriositäten verkauft. Um die 60 Jahre oder älter, kurze, graue Haare, ernster Blick. Es ist laut. Ich lehne mich vor. Sie sieht mich kurz an. Und lehnt sich demonstrativ zurück.
„Sorry, I am looking for a post office… can you tell me ...”
Sie schließt die Augen.
Ich verstumme.
Sie sagt kein Wort, presst ihre Lippen fest zusammen, verschränkt die Arme. Und schüttelt dann langsam wie ein strenger Buddha den Kopf.
Ich fasse es nicht.
Nach all dem „Can I help you“ und „How are you” ein Gefühl wie Zuhause.
„Danke, freundlich“, sage ich.
Sie schüttelt weiter den Kopf.
Dann muss ich lachen und gehe weiter.
(Straßenverkaufsstand in Chinatown, Bowery, Ecke Canal Street)

 

Waiting for my man

Der Mann, der die verbotenen Freuden verkauft, wartet spät abends im Sara. D. Roosevelt Park. Es wird höflich geplaudert, sie tauschen ein paar Floskeln aus. Ich höre leise seine Stimme. In Erinnerung bleibt nur ein Kapuzenpulli von hinten, kein Gesicht. Und eine dunkle Stimme zwischen den anderen, mit lateinamerikanischem Akzent. Schnell ist er wieder weg.

Loreley

Später lauf ich mit den anderen ziellos durch die Straßen der Lower East Side, es ist ein Tag vor Thanksgiving und kalt geworden. Dutzende Jugendliche sind unterwegs, die Clubs und Bars sind voll. Wir haben keine “Reservation”. Keine” Invitation”. Das heißt: Wir kommen nirgendwo rein und frieren. Und landen dann in der Rivington Street in einer Bar. Wir stehen angezündet rum, trinken Gaffel Kölsch (es gibt nur deutsches Bier!) und starren auf den Kölner Dom auf einem alten Schwarz-weiß-Foto an der Wand. Wir sind mitten in New York. Wir sind in Köln. Es ist die einzige Bar, in die wir rein kamen.
(“Loreley” Bar, Rivington Street, Lower East Side.)

 

Black Friday

Zwei gehen shoppen. Ein Mann und eine Frau. Er und ich.
Es ist der Tag nach Thanksgiving, es gibt Preisnachlässe. 30 Prozent. 50 Prozent.70 Prozent. Die Straßen sind schwarz von Menschen, ganz New York ist unterwegs. Shoppingexzesse. Schnäppchenjäger. Tütenschwinger. Wahnsinnige. Wir mittendrin. Wir suchen die richtige Subway, stehen doof mit Stadtplan rum – und verfahren uns. Ich bekomme plötzlich Panik, als einzige unter einer Million nicht ein einziges Schnäppchen zu ergattern. Ich bin infiziert. Wieso weiß er den Weg nicht? (Ach so, er ist ja auch zum ersten Mal hier.) Idiot.
Der Place to be heißt Century 21. Ein Outletstore. Massen quetschen sich durch den Eingang, schieben sich die Rolltreppen ins Nirwana hoch. Von innen sieht das Ziel der Träume aus wie ein Alptraum. Schmieriges Neonlicht, hässliche Teppiche, alles voll gestopft mit Kleiderstangen. Überquellend. Endloses Gedränge. Woolworth in Oberhausen hat mehr Charme. Wir leiden stumm. Bis ich entdecke, was da auf der Stange hängt. Große Namen. Kleine Preise. Schrille Euphorie ergreift mich... Ich lächle debil. Er lächelt gequält. Innerhalb von Sekunden schleppe ich bereits drei Mäntel und eine Jacke mit mir rum. Er sieht mich verzweifelt an. Ich versuche ihn loszuwerden.
„Oben ist die Männerabteilung. Geh doch mal gucken…“
„Och…“
Er gibt mir eine Stunde für meinen Exzess. Ich kämpfe mich durch fremde amerikanische Anproberituale, lass mich von Verkäuferinnen mit Generalallüren durch komplexe Fittingroomlabyrinthe manövrieren. Die Umkleiden sind winzig und unsexy. Schwerstarbeit. Ein Designerfummel nach dem anderen wird an- und wieder runtergezurrt. Mann, mir steht heute einfach alles!

Und nach der Stunde steht er da. Er hat nichts. Nichts!! Das ist doch reine Provokation. Das ist doch ein stumm entgegen geschleudertes:
„Da bist du in einer so spannenden Stadt und kannst nichts Besseres als banales Shoppen statt Guggenheim.“
Ich überhöre die stumme Anklage. Ich führe ihm alles vor. Dies. Und das hier. Und das auch. Und erst das! Er findet alles so lala. So naja. So ganz ok.
Ich hasse ihn – ich nehme alles!
Wieder draußen. Das Fieber lässt nach. Ich schaukel erschöpft mit all den Tüten.
„Ich gehe nie wieder mit dir einkaufen!“
„Ich mit dir auch nicht!“
Der Tag nach Thanksgiving heißt Black Friday.
(Century 21, “New York's Best Kept Secret! Designer Discount Department Store”, Manhattan, Cortlandtstreet)

 

Little Cupcakes

Mir fallen die bezaubernden rosa Kopftücher der Mädchen auf, die hier arbeiten. Ihm ihre engen, rosa T-Shirts. Und beide sind wir verliebt in den ganzen Laden, ein einziges Remake. Welcome to the Candy Bar. Eine Orgie in Pink und Grün. In Flieder und Maisgelb. Die ganze bunte Pracht in der Thekenauslage. Muffins, Cookies, Brownies. Chocolate Cupcakes. Vanilla Buttercream Cupcakes. Blueberry Cheese. Brown Sugar Cupcakes. Maple Cream Cheese Frosting. Lemon Drop. Spice Pumpkin. Coconut Cloud. French Toast Cupcake. Marilyn Monroe Cupcakes. Monika Lewinsky Cupcakes. Romeo & Juliet Cupcakes….
Wir stopfen uns fast täglich mit Original Cheese Cupcake voll und starren auf die rosa Mädchen, die in aller Ruhe Torten schichten und mit Buttercreme beschmieren…
Am Ende der Woche steht sogar der Weihnachtbaum und Santa Claus wacht mit dickem Bauch über die ganze süße Idylle.
(Little Cupcake Bakershop, Princestreet, Lower East Side)

Alle Fotos: Dirk Bannert, alle Texte: Silke Vogten

Happy Christmas!