Editorial

 

Liebe Freunde, Kollegen, Medienschaffende,

diesmal wird es tierisch, wir widmen diese Ausgabe unseren vierbeinigen Freunden, unseren Hunden.
Sie haben es schließlich verdient, wenn sie tagaus, tagein, geduldig schmachtend neben uns liegen, uns skeptisch dabei beobachten, wie wir endlos (sinnlos!) auf den schwarzen Tasten eines seltsamen Kastens rumhämmern, Stunde um Stunde langweilig herumsitzen, bis wir irgendwann aufstehen, um etwas wirklich sinnvolles zu tun: Mit ihnen rausgehen. Auf die Wiese. In den Wald. Wohin auch immer...
Die Künstler, Autoren, Fotografen dieser Ausgaben zeigen uns Hunde am anderen Ende der Welt und vor der eigenen Haustür…

Der Fotograf Dirk Moll fand „ein Bild von einem Hund“ u.a. im fernen Indien, die Fotografin Vera Keysers einen echten Berliner Straßenköter. Da wohnt auch Schauspieler und Sprecher Markus Küsters, der einen tragischen Vierbeiner in der von ihm neu übersetzten Jack-London Story „Feuer im Schnee“ vorstellt. Ein echtes Hundeleben.

Viel Spaß wünschen,

Eure,
Flora Jörgens und Silke Vogten

Ein Hundeleben

 

Foto: Indien von Dirk Moll

Der Fotodesigner Dirk Moll, Jahrg. 1970, lebt in Köln. Eines seiner favorisierten Bücher zum Thema ist „Dog days, Bogotá” von Alec Soth. Mehr Infos und Portfolio unter www.dirkmoll.de

Hammerteich, Witten

 

An den Baumstämmen
die im dunkeln Wasser baden
bricht leise der Schatten
der Wellen. Ein Kaleidoskop
mit plätschernden Klängen

Ein schwarzer Hund spielt
nass am Ufer und sucht
nach irgendwas. Der Wind
treibt einen Diamantenteppich
wie eine Herde über das Wasser

Von Ferne schwimmt plötzlich
ein ferngesteuertes Modellboot
auf eine dösende Ente zu und Lolita
beginnt knarrend laut zu singen:

„Seemann, lass das Träumen…“

Silke Vogten

Foto: Hund in Berlin von Vera Keysers

Die Fotografin Vera Keysers, Jahrg. 1981,lebt in Essen. Einige ihrer Arbeiten sind auf der diesjährigen Photokina vom 22. bis 27. September in Köln zu sehen, dort präsentiert die Folkwangschülerin im Rahmen von „Academy meets Photokina“ ihr Buch „Kakanien“ in Halle 1. Zudem stellt sie im Rahmen von RUHR.2010 vom 18. bis 20. November im Kammermusiksaal der Folkwang Universität Essen aus. Titel der Ausstellung: „Kulturelles Handeln im transkulturellen Raum“, eine wissenschaftliche Tagung mit begleitender Ausstellung und künstlerischen Veranstaltungen unter Leitung von Prof. Dr. Andreas Jacob.

Südstadt-Hund

 

Unsere liebste Dog-Station ist die Fiffibar, Severinswall 35, Köln. Wer einfach mal rein schnuppern will, der ist mit caniden Veranstaltungen wie „His master’s voice“ (jeden 1. Freitag im Monat), „Wag the dog“ (jed. 1. Fr.) oder „Zwinger-Club“ (jed. 3. Fr.) auf der richtige Fährte.
Leckerchen gibt es dann einmal im Monat bei einer von Escapade veranstalteten (Spuren-) Lesung. Dazu in der nächsten Ausgabe mehr Futter. www.fiffibar.de

Foto: Hundesalon Exquisit von Regina Janssen

Die Sängerin Regina Janssen fängt mit der Kamera immer wieder Fremdvertrautes ein. Das Motiv Hundesalon entstand in Berlin. Im Oktober wird Janssen mit ihrer Band Donna Regina zum wiederholten Male in Polen auftreten. (5.-9.9.)

Feuer im Schnee

 

...Dem Mann auf den Fersen trottete ein großer Husky, ein echter Wolfshund mit grauem Fell, weder äußerlich noch seinem Wesen nach zu unterscheiden von seinem Bruder, dem wilden Wolf. Die ungeheure Kälte bedrückte das Tier. Es wusste, dass jetzt nicht die Zeit für Wanderungen war. Was sein Instinkt ihm sagte, war zuverlässiger als das Urteil des Mannes. Tatsächlich war es nicht nur kälter als fünfzig Grad unter Null, es war kälter als sechzig, kälter als siebzig Grad unter Null. Es war fünfundsiebzig Grad Fahrenheit unter Null. Und da der Gefrierpunkt bei zweiunddreißig Grad über Null liegt, entspricht dies einhundertsieben Grad Frost. Der Hund wusste nichts von Thermometern. Vermutlich gab es in seinem Gehirn kein klares Bewusstsein von einem Zustand großer Kälte, so wie in dem des Mannes. Aber das Tier hatte seinen Instinkt. Es lief unter dem Einfluss einer unbestimmten, aber bedrohlichen Vorahnung an die Fersen des Mannes geheftet und beobachtete begierig jede auffällige Bewegung des Mannes, so als müsste dieser jeden Moment ein Lager aufschlagen oder Schutz suchen und ein Feuer entzünden. Der Hund hatte das Feuer kennengelernt, und er wollte ein Feuer oder er wollte sich in den Schnee gegraben in seine eigene Körperwärme kauern, nur raus aus der kalten Luft…

…Beim Anblick des Hundes kam dem Mann eine verwegene Idee. Er erinnerte sich an die Geschichte von dem Mann, der, gefangen in einem Schneesturm, einen Ochsen tötet, sich in den Kadaver legt und so überlebt. Er würde den Hund töten und seine Hände in dessen warmen Körper tauchen bis die Taubheit aus ihnen wich. Dann könnte er ein neues Feuer machen. Er sprach den Hund an, rief ihn zu sich, doch in seiner Stimme schwang der ungewohnte Klang der Furcht mit, die den Hund erschreckte, da er den Mann noch nie so sprechen gehört hatte. Etwas stimmte nicht und seine misstrauische Natur witterte Gefahr – er wusste nicht welche Gefahr, aber irgendwo in seinem Gehirn wuchs eine Angst vor dem Mann. Beim Klang seiner Stimme legte er die Ohren flach an und seine Bewegungen wurden unruhiger, seine Vorderbeine hoben und senkten sich schneller, doch er ging nicht zu dem Mann. Der stützte sich auf Hände und Knie, und kroch in Richtung des Hundes. Diese ungewöhnliche Körperhaltung erregte erneut Misstrauen, und das Tier schlich sich mit gezierten Bewegungen fort…

…Und die ganze Zeit folgte ihm der Hund auf den Fersen. Als er ein zweites Mal fiel, setzte der Hund sich, den Schwanz um die Vorderpfoten geschlungen, ihm gegenüber hin und beobachtete ihn mit gespannter Aufmerksamkeit. Die Wärme und Geborgenheit des Hundes empörte ihn, und er verfluchte ihn, bis dieser die Ohren unterwürfig anlegte. Dieses Mal kamen die Kälteschauer viel schneller. Er verlor seinen Kampf gegen die Kälte. Sie kroch von allen Seiten in seinen Körper. Der Gedanke daran trieb in erneut an, doch er schaffte keine hundert Fuß, dann schwankte er und fiel kopfüber hin. Dies war seine letzte Panik. Als er wieder zu Atem gekommen war und die Beherrschung zurückgewann, setzte er sich auf und erwog die Vorstellung, dem Tod mit Würde zu begegnen. Allerdings stellte er es sich nicht in solchen Begrifflichkeiten vor. Seine Überlegung war, dass er einen Narren aus sich gemacht hatte, wie ein kopfloses Huhn herumzurennen – das war der Vergleich der ihm einfiel. Nun, er war so oder so dazu bestimmt zu erfrieren, also konnte er sich auch anständig benehmen. In diesem neugewonnenen Seelenfrieden überkam ihn ein erster Anflug von Schläfrigkeit. Eine gute Idee, dachte er, in den Tod hinüber zu schlafen. Es wirkte wie ein Schmerzmittel. Erfrieren war nicht so schlimm, wie die Leute dachten. Es gab schlimmere Arten zu sterben. Er malte sich aus, wie die Jungs am nächsten Tag seinen Körper fanden. Auf einmal war er bei ihnen, wie sie die Schlittenbahn hinab kamen und suchte sich selbst. Und dann, immer noch unter ihnen, kam er um eine Biegung im Flusslauf und sah sich selbst, wie er im Schnee lag. Er war nicht mehr bei sich, denn noch immer stand er da mit den Jungs und betrachtete sich dort unten im Schnee. Es war wirklich kalt, dachte er. Wenn er zurück in den Staaten war, konnte er den Leuten erzählen, was echte Kälte war. Sein Geist schweifte zu dem Alten vom Sulphur Creek. Er sah ihn deutlich vor sich, wie er warm und behaglich seine Pfeife rauchte.

„Du hattest recht, alter Knabe, du hattest recht“, murmelte der Mann dem Alten vom Sulphur Creek zu.

Dann glitt der Mann in einen Schlaf, so behaglich und wohltuend, wie er ihn noch nie erlebt hatte. Der Hund saß ihm gegenüber und wartete. Der kurze Tag endete in einer langen, langsamen Dämmerung. Es gab keine Anzeichen, dass ein Feuer gemacht sollte. Auch hatte der Hund noch nie erlebt, dass ein Mann so im Schnee saß, ohne Feuer zu machen. Als die Dämmerung fortschritt, wurde sein Verlangen nach Feuer überwältigend. Er winselte leise, hob und senkte eifrig die Vorderpfoten, legte dann die Ohren an, da er erwartete, dass der Mann ihn ausschelten würde. Doch der Mann schwieg beharrlich. Später heulte der Hund lauter. Und noch später kroch er nahe an den Mann heran und witterte den Geruch des Todes. Das Tier sträubte sich und kroch von ihm weg. Eine Weile heulte er zu den Sternen, die springend und tanzend den kalten Himmel hell erleuchteten. Er drehte sich um und trottete die Schlittenbahn entlang in Richtung des Lagers, das er kannte, wo es andere Männer gab, die ihn mit Futter versorgten, und mit Feuer.

Ausschnitte aus der Kurzgeschichte „Feuer im Schnee“, von Jack London (1876 -1916) in einer Übersetzung von Markus Küsters. Der Schauspieler und Sprecher, Jahrg. 1967, lebt in Berlin. Er las das Original vor einiger Zeit in einer einsamen Hütte im verschneiten Kanada – und fand die Story großartig, „Ich wollte die Geschichte bei einer Lesung zuhause in Berlin vortragen, fand die deutschen Übersetzungen allerdings weniger gelungen…“ Also übersetzte er selbst, zeitgemäßer und auch dem Sprachrhythmus Londons verpflichtet. Zurzeit arbeitet Küsters an einem Hörbuch u.a. mit Jack London Storys, dass Ende 2010 erscheinen wird.

Foto: High Noon von Dirk Bannert