Editorial

 

Liebe Freunde, Kollegen, Medienschaffende,

gleich zu Beginn ein kurzer Rückblick:
»Werden wir Deine Nachricht jemals entschlüsseln?« fragte sich Dr. J. Enigma aussem Tal, nachdem der erste versendete »Escapade belles-lettres« einfach nicht zu öffnen war. Nicht mal als pdf.
Seltsame Technik-Welt. Wir für unseren Teil bemühen uns um Verbesserungen, es kann aber noch ein bisschen dauern bis alles funktioniert. Aller Anfang...

Jetzt zu den schönen Dingen. Dem »Untendrunter« , dem sich die 2. Escapade widmet, und das sich trotz der vielen Anglizismen in unserer deutschen Sprache bis heute als »Dessous« behauptet.
»Oben hui und unten pfui«, rümpften unsere Mütter die Nasen, wenn das Kleid des Madämchens von nebenan prachtvoller war als die Wäsche, die auf der Leine zum Trocknen hing. Eine »Dessouskrise« machte auch Petra Trinkaus durch. In dieser Ausgabe von »Escapade belles-lettres« ihr Bericht von ganz unten.

Donna Regina widmete sich schon vor 20 Jahren (sic!) musikalisch dem »Négligé de soie«. Ihre Coverversion enthüllt mehr als sie bedeckt, die mächtige Bassdrum würde heute sicher mehr mit Watte ausgepolstert. Eigentlich schade, aber wiederum auch nicht, denn hier gibt es den vollen Push-up als MP3-File zu hören. Eine neue CD des Kölner Duos, die elfte, ist in Arbeit.

Mit Tom Noga geht es noch einmal kurz nach Acapulco, wo es in der »Villa Vera« drunter und drüber ging. Der zeigefreudige Ausschnitt seiner Radio-Reportage über »Mr. Acapulco Teddy Stauffer«, hier in Textform gebracht, beweist, dass man bereits in den frühen 60er Jahren auf jegliche Hüllen verzichten konnte.

Die Zigarette danach ist in Wahrheit ein Stift, mit dem Ihr uns schreiben könnt. Ein paar Anregungen haben wir ja bereits bekommen. Vielen Dank dafür!
Und außerdem an Petra Trinkaus, Donna Regina, Tom Noga für Musik und Text. »Escapade«-Art-Directrice Beryl Janssen hat die zarten Spitzen verwoben zum Stoff, aus dem die Träume sind, damit wir nach den Sternen greifen können.

Eure,
Flora Jörgens und Silke Vogten

Mr. Acapulco und die Villa Vera

 

Jacqueline Petite, die in den 50er und 60er Jahren rauschende Parties veranstaltete und zeitweise mit Teddy Stauffer ein Restaurant betrieb, stellt uns exklusiv dieses Pool-Foto zur Verfügung. Damals war Acapulcos Bucht (siehe Hintergrund) fast noch jungfräulich.

Rahel Ávila:
»Él fue el primer administrador del hotel como tal, él dio la proyección internacional al hotel como asi como las tuvo en algunas otras partes en Acapulco, él dio es estilo al hotel y definía el perfil que seguiría la gente que venía a este lugar. Es gente que no venía porque pudiera pagar una habitación sino porque venía bajo invitación. Tu eras invitado a Villa Vera no porque pudiera pagarlos sino porque eras alguien conocido o famoso y porque eras de acuerdo con el estilo de la vida aquí dentro.«

»Teddy Stauffer war der erste Geschäftsführer dieses Hotels. Er hat es zu einem wirklich internationalen Haus gemacht und einen Stil kreiert, den eine gewisse Klientel gesucht hat. Um hier zu übernachten, genügte es nicht, das Zimmer bezahlen zu können, hier kam man nur auf Einladung rein. Und eingeladen wurde man nur auf Empfehlung oder wenn man berühmt war – und wenn man keinen Anstoß am Lebensstil nahm, der hier gepflegt wurde.«

Erzähler:
Der Lebensstil, der hier gepflegt wurde? Rahel macht eine kunstvolle Pause und nippt an einer Corona.

Rahel Ávila:
»Se puede contar muchísimas anécdotas de gente muy famosa que hizo cosas muy distintos e la vida normal. Era un estilo de vida de excesos, era un hotel solamente para adultos donde se permitía muchas cosas, donde no habían resticciones de nada.«

»Ich könnte stundenlang Anekdoten erzählen von berühmten Leuten, die hier Dinge, nun ja: jenseits der Norm gemacht haben. Der Lebensstil hier war von Exzessen geprägt. Dies war ein Hotel nur für Erwachsene, hier war vieles erlaubt, es gab keine Restriktionen.«

Erzähler:
Javier Rodriguez mischt sich ein. Er ist Kellner und ein Veteran in der Villa Vera.

Javier Rodiguez:
»Había un joven que venía para vender trajes de baño para las chicas. Era muy común verle vender cocaína a los artistas o otra gente que venía aquí. Era muy común durante la hora de comida vera a una pareja en la alberca principal haciendo el amor. Recuerdo aquí emn el tercer camastro, una mujer muy guapa, una actriz que era en su época de esplendor, que a las dos de la tardo hizo amor con uno... tenía fábricas de textiles. Señor Carlos Ullán mandó al pool boy para que le pusiera una toalla encima porque estban ahciendo el acto aquí y toda la gente aplaudían cuando terminaron el acto.«

»Hier kam zum Beispiel ein junger Mann her, er verkaufte Badeanzüge, aber man sah ihn oft, wie er Künstler und sonstige Berühmtheiten mit Kokain versorgte. Es war auch nicht ungewöhnlich, dass sich ein Paar am helllichten Tag im Pool liebte. Ich erinnere mich an eine sehr schöne Frau, eine Schauspielerin auf dem Höhepunkt ihrer Karriere. Auf der dritten Liege dort drüben vergnügte sie sich mit einem Textilfabrikanten. Jemand warf ihnen Handtücher über, aber davon ließen sie sich nicht stören. Und als sie fertig waren, applaudierten ihnen die anderen Gäste.«

Musik

 

Das angehängte MP3-File präsentiert die längst vergriffene erste Single von Donna Regina, Köln (1990)

Foto: Flora Jörgens

Die Dessous-Krise

 

Es begann alles damit, dass vor etwa zehn Jahren meine Waschmaschine drei Mal hintereinander kaputt ging. Der während des Wartens auf den Monteur – bzw. im finalen Fall auf die neue Waschmaschine – entstehende Wäschenotstand ließ sich nur durch den massenhaften Ankauf neuer Unterhosen überbrücken. Ich musste eine zweite Slipschublade anlegen, und selbst die war wegen Überfüllung meist nicht richtig geschlossen. »Wenigstens brauche ich bis an mein Lebensende keine neuen Unterhosen mehr«, verkündete ich, aber meine weltweise Mutter wusste es besser: »Wenn du die alle im gleichen Jahr gekauft hast, gehen sie auch alle gleichzeitig kaputt.«

Sie sollte ja so Recht behalten. Von einem dieser berüchtigten Siebener-Sets gaben sechs in derselben Woche den Geist auf – eine fiel, als ich vom Kleiderschrank zum Telefon eilte, einfach von mir ab. Aus meinen zwei Slipschubladen wurde wieder eine, in der sich häufig nur noch drei ungeliebte Exemplare herumdrückten. Die Situation, wie Altbundeskanzler Adenauer es ausgedrückt hätte, war da.

Hinzu kamen Probleme in den oberen Regionen: Ich musste feststellen, dass auch immer als praktisch nicht existent angesehene Massen ab einem gewissen Alter Opfer der Schwerkraft werden.

Also betrat ich nach zehnjähriger Abstinenz zum ersten Mal wieder eine Dessousabteilung. Es war ein Kulturschock.

Schon die Farben: Ganz hinten entdeckte ich zwischen all dem Limogelb, Kermitgrün, Hummerrot und Schwimmbadtürkis auch Exemplare in harmlosem Schwarz oder Weiß. Dagegen schienen die einst verpönten Altweiberfarben Haut, Entenblau und Graumeliert plötzlich mega-in zu sein. Dann der Stil: Davon gab es nur zwei – »Turnvater Jahn« oder »Hornstraße«. Die neue Schlüpfer-Terminologie durchschaute ich schnell: »Lady« war das, was wir früher »Schinkenbeutel« nannten, »Page« die irreführende Bezeichnung für »Schinkenbeutel light«. »String« bedeutete, dass es statt Evas Feigenblatt nur noch eine Art Bindfaden gab, »Rio« gab einen Hauch mehr Stoff. Außerdem dominierten »moderne Fasern«, die laut Werbung den Schweiß absorbierten, den man ohne diese Kleidungsstücke gar nicht erst vergossen hätte.

Eine einzige BH-Anprobe überzeugte mich vom technischen Stillstand auf diesem Gebiet: Sie kniffen immer noch an der Stelle, die man bei Pferden die Gurtlage nennt, der Verschluss drückte auf die denkbar empfindlichste Stelle, die Träger schnitten schmerzhaft ein, und es gab fast nur noch völlig indiskutable Bügel-BHs. (Sie erinnern sich doch an die Zeitungsmeldung: »Engländerin vom Blitz erschlagen – er schlug in die Metallbügel ihres BHs ein«?)

Aber es warteten noch weitere Schocks. Meine erste Reaktion auf glatte, hautfarbene, zu einem BH verknüpfte Plastikhalbschalen war Betroffenheit, die zweite Zustimmung: Ich fand es okay, dass brustamputierte Frauen ihre Prothesen statt im muffigen Orthopädiefachhandel ganz normal in der Wäscheabteilung finden. Mit der Menge dieser Plastikhalbschalen aber wuchsen die Zweifel, zumal es die Teile auch in Kornblumenblau, Lila (!!!) und anderen fröhlichen Tönen gab. Soviel Spaß im Prothesenwesen? Erst ein zufällig mitangehörtes Verkaufsgespräch schaffte Aufklärung: »Das ist für unter T-Shirts«, erklärte die Verkäuferin, »dass sich nichts abzeichnet.« Nun mag man mich für verstockt halten, aber ich hatte immer geglaubt, T-Shirts seien genau dazu da, dass sich möglichst viel möglichst deutlich abzeichne.

Außerdem bewahrten sie in den Wäscheabteilungen offenbar ihren Verpackungsmüll in Form hässlicher durchsichtiger Plastikstreifchen in kleinen Körbchen auf der Theke auf, sogar mit Preisschild. Oder doch nicht: Es handelt sich um »unsichtbare« BH-Träger. Galt es früher als ästhetischer Supergau, wenn Hemd- oder BH-Träger aus dem Ausschnitt hervorschauten, so ist genau das heute ein Muss: Man gestaltet zunächst Oberteile so, dass BHs gar nicht anders können, als hervorzuschauen, mit anderen Worten, man arbeitet auf sichtbare Träger hin. Dann macht man diese Träger »unsichtbar« – nicht wirklich unsichtbar, dann sähe man ja nichts, man sieht aber einen hässlichen durchsichtigen Plastikstreifen. Mir schwindelte ob dieses logischen und ästhetischen Spagats. Ich beschloss, sofort und auf der Stelle meine Jahresdepression zu nehmen, und steuerte, bewaffnet mit einer Klinikpackung Schokotoffees, das heimische Sofa an, von wo aus ich mit Freundinnen lange, philosophische Telefonate über die neue, pseudo-pornografische Prüderie der Jahrtausendwende führte. Aber davon hatte ich immer noch kein einziges Stück neue Unterwäsche.

Rettung aus meinem Dilemma versprach eine Anzeige, die Unterhemden und Bodys mit »secret support« anpries. Heimliche Unterstützung kann jede Frau gebrauchen, und so schritt ich unverzüglich zur Anprobe – und zur nächsten Enttäuschung. Der recht ansprechend gestaltete Body quetschte alles, was ich gar nicht zu besitzen meinte, so platt, dass ich geradezu ausgehöhlt aussah, bündelte ungeahnte Massen und ließ sie üppig aus den oberen Öffnungen des Kleidungsstücks hervorquellen – auch aus den unteren, worum ihn überhaupt niemand gebeten hatte: unheimliche Verunstaltung statt heimlicher Unterstützung. Ich kalkulierte, dass ich diesen Effekt auch wesentlich preisgünstiger mit einem alten Kinderbadeanzug haben könnte, den ich voreilig in den Altkleidungssack gesteckt hatte, und zog frustriert von dannen.

Allerdings nur bis ins nächste Kaufhaus. Dort fand ich, was ich gar nicht gesucht hatte: ein dezent spitzengeziertes Bustier-Set in sündigem, aber nicht unanständigem Rot. Ein Bustier ist übrigens ein BH ohne eingebaute Folterfunktion, Set bedeutet, dass ein passender Slip dabei ist, der hier allerdings aus unerfindlichen Gründen zusammen mit einer faustgroßen grauen Diebstahlverhinderungsplombe auf die Schulter des Bustiers getackert war. Damit sah ich zwar ein wenig wie eine Außerirdische aus einem viertklassigen Science-Fiction-Film aus, aber verblüffenderweise trotzdem ganz reizend. Ich kaufte den gesamten Bestand (drei Sets) auf.

Der Bann war gebrochen.

Petra Trinkaus

Petra Trinkaus lebt als Autorin und Übersetzerin in Köln.
Von ihr erschienen »Köln zwischen Sekt und Selters« und »Der Ausflugs-Verführer Rheinland«.
Ein neues Buch wird Mitte 2010 veröffentlicht.

Foto: Flora Jörgens

Die Zigarette danach

 

Glückwunsch zur Erstausgabe!! Besonders den Escapad(e)amen.Hermann-Josef B. Gerade habe ich mich mit Vergnügen der ersten »Escapade« gewidmet. Und natürlich freue ich mich, wenn meine Dessous in einer der nächsten Ausgaben – ja was? abgedruckt? eingestellt? untergezogen? – was auch immer sind. Obwohl meine Gedanken im Moment eher um Wollenes und lange Unterhosen kreisen. Petra T.

Flori, Silke, toll finde ich nicht zuletzt, dass es heute hier ankam – wg Sendung erfolgt ausgiebige Lektüre erst später- ich schicke es mir ins Bergische!!! Auf jeden Fall nochn Grund Sekt zu trinken, wenn wir uns hoffentlich bald mal wieder sehen – herzlicher Glückwunsch. Wie heißt das Motto der nächsten Ausgabe? Falls wir mit Kunst schaffen wollen? Regina T.

Großartig! Lass mich bloss auf dem Verteiler, freue mich auf mehr! Mit den besten Wünschen für 2010!!! Birgit J.

Siehste – was raus muss, muss raus. Alte Literatenregel. Das endgültige elektronische Format ist mir ja noch unklar (liegt vielleicht an meinem etwas unorthodoxen Mailer), aber die Fotos sind schon einmal superb. Wie viele geltungssüchtige Epheben mussten sich denn da für dich ins Wasser stürzen? Achim W.

Liebes Florerl, habe gerade den O-Ton von Eberhartinger von Escapade angehört.
Schöner O-Ton, typisch wienerisch. Sabine F.
P.S. Die Fotos sind eine Wucht!

Das ist ja ein wirklich ungewöhnliches Projekt, welches hier das Licht der virtuellen Welt erblickt hat – Gratulation! Bin schon ziemlich gespannt auf die nächste Folge... Beste Grüße Bruno