Editorial
Liebe Freunde, Kollegen, Medienschaffende,
vor 35 Jahren starb Elvis Presley unter traurigen Umständen. Der Ausnahme-Sänger, Gesicht und Körper der Rock’n’Roll-Revolution in den 1950er Jahren, wurde nach seinem Tod zur Geldmaschine der Musik-, Merchandising- und Tourismusbranche.
Tom Noga war in Memphis und sah Elvis als Projektionsfläche unterschiedlicher Interessensgruppen.
Wir zeigen sie in dieser Ausgabe und laden Euch ein, am 16.8. in Köln mit uns „Auf Wiedersehen“ zu sagen oder besser noch zu singen:
„Elwie’s Euch gefällt“ in der Fiffi-Bar mit bewegten Bildern, Musik, Quiz und anderen Überraschungen.
Eine gesonderte Einladung geht Euch kurz zuvor auch noch per mail zu. Reservierungen nehmen wir aber jetzt schon an.
Eure,
Flora Jörgens und Silke Vogten
Elvis
darf nicht sterben
Er war heiß, der Sommer in Tennessee anno 1977, und der 16. August bildete keine Ausnahme. Das Thermometer zeigte 45 Grad, die Sonne brannte senkrecht vom Himmel und die Luft war schwer wie flüssiges Blei. Ein Tag wie jeder andere für Miss Betty, die Dichterin. Doch als sie zur Mittagsschicht bei einer Cateringfirma im Flughafen von Memphis kam, merkte sie gleich, dass etwas nicht stimmte. Die bleiche Miene ihres Chefs als er sie zur Seite nahm: Um 14:15 Uhr war Elvis Presley im Bad von Graceland, seiner Villa, tot aufgefunden worden. Es war, als stürzte sie in einen Abgrund: „Eine Leben ohne Elvis konnte ich mir einfach nicht vorstellen.“
25 Jahre danach sitzt Miss Betty in einem Esslokal am Elvis Presley Boulevard, einer vierspurigen Ausfallstraße, die vom Zentrum von Memphis hinaus führt in die monotone Weite Mississippis, vorbei an schäbigen Wohnsilos, billigen Motels, verlassenen Einkaufszentren und von Kugeln durchsiebten Reklametafeln. Eisgraue Haare, wache Augen, ein silbernes Amulett mit Elvis‘ Namenszug als einzigem Schmuck. Miss Betty hat vier Kinder und sechs Enkel. Sie war zweimal verheiratet. Doch in ihrem Leben gibt es nur einen Mann.
Miss Betty ist Fan der ersten Stunde. Doch mehr als für seine Musik verehrte sie ihn, weil er Memphis, dieser trostlosen Hafenstadt, nie den Rücken gekehrt hat: „Solange er lebte, waren wir wer.“ Um seinen Tod zu verarbeiten, begann sie, ihm in Gedichten zu huldigen. 40, 50 sind es über die Jahre geworden. Das neueste heißt „Meine guten Absichten“ und beklagt die Unfähigkeit zu schaffen, was wir uns vornehmen. „Elvis war anders“, sagt sie, „was er wollte, führte er aus, und was er tat, war gut.“
Wie Elvis war - diese Frage hat in den letzten 25 Jahren zig Biografen umgetrieben. Erkenntnisgewinn gleich Null. In „What really happened“, der Klatschbiografie seiner Leibwächter lernen wir einen sex- und drogensüchtigen Waffennarren kennen, der dem Liebhaber seiner Frau einen Killer auf den Hals hetzen will und sich in seiner Trutzburg langsam zu Tode frisst. Larry Geller, Elvis‘ Privatfriseur, stellt ihn als einen nach Erleuchtung Suchenden dar und Star-Biograf Albert Goldman als grenzdebilen, rassistischen Hinterwäldler. Elvis Presley als Projektionsfläche. Oder wie Rock-Kritiker Greil Marcus es in seinem Buch „Dead Elvis“ formulierte: „als Inszenierung der extremsten Möglichkeiten unserer nationalen Identität.“
Der junge Elvis: dieser Typ aus dem ärmsten Winkel Mississippis, der mit Schmalzlocke, Hüftschwung und Songs, die direkt in den Unterleib zielten, die Welt aus den Angeln hob. Und der späte Elvis, aufgedunsen, vollgepumpt mit Schmerz- und Beruhigungspillen, der sich in grotesken Kostümen auf der Bühne selbst persiflierte. Dazwischen ein Leben. Elvis als GI. Elvis in spießigen Boy-meets-girl-Filmchen, damals in den 60ern, während die Zeichen überall auf Veränderung standen. Elvis, der Country- und Gospelsänger. Ein Leben voller Widersprüche. Und eine Geschichte von Aufstieg und Fall, wie sie Amerika liebt.
Graceland Plaza. Eine Ansammlung von Schnellrestaurants im Stil der 50er, als der Amerikanische Traum noch eine chromglitzernde Verheißung war. Dazwischen Souvenirläden. Elvis Presley als Ware. Sein Bild prangt auf Tassen, Hemden, Gläsern, Tassen, sein Name auf Kugelschreibern, Radiergummis, Schminkdöschen. Es gibt sprechende Pappkameraden in Lebensgröße und Telefone mit Elvis-Figur, die beim Läuten mit den Hüften wackelt. 600.000 Menschen zieht es im Jahr nach Graceland. In der Rangliste der öffentlich zugänglichen Privathäuser liegt Graceland damit auf Platz zwei, knapp hinter dem Weißen Haus.
Zu Recht, findet Sheila. Dies ist ihr achter Besuch. Zum ersten Mal ist Jimmy mitgekommen, ihr Mann. Den ganzen Zirkus um Elvis kann er nicht verstehen: „Ein paar Songs, mehr war doch nicht.“ Sheila schüttelt den Kopf. Natürlich ist Elvis mehr als das. Warum sonst wäre seine Version der patriotischen Schmachtfetzens „America, the beautiful“ nach den Terroranschlägen von New York und Washington an die Spitze der Hitparaden gestürmt?
Sheila und Jimmy aus Athens, Georgia. Zwei in die Jahre gekommene Rocker. Beide in Jeans, schweren Stiefeln, schwarzen T-Shirts. Die Ausstellung mit Elvis‘ Autos haben sie hinter sich gebracht und auch sein Privatflugzeug besichtigt, eine DC 10 mit plüschigen Sitzen und Knäufen aus 24-karätigem Gold. Nun schieben sie sich wie bei einer Kirchenbesichtigung durch Graceland, Elvis‘ Villa. Vom modernistischen Wohnzimmer mit den weißen Ledermöbeln übers rundum verspiegelte Musikzimmer zum kitschigen Jungle Room: klobige, mit Ornamenten verzierte Möbel aus Wurzelholz, knöcheltiefer grüner Teppich an Boden, Wänden und Decken und ein künstlichen Wasserfall an der Stirnwand. Es folgen Ausstellungen: alte Anzüge, Zeitungsausschnitte, Goldene Schallplatten. Und im Garten die Grabstätten der Familie Presley: Elvis, sein totgeborener Zwillingsbruder Jesse Garreth, Mutter Gladys, Vater Vernon.
Der Elvis, der hier präsentiert wird, ist ein Pfundskerl: nett, höflich, großzügig, freundlich zu jedermann. Ein bisschen spleenig vielleicht und manchmal zu wild, aber ein glühender Patriot Elvis als Synonym für den Amerikanischen Traum: es aus eigener Kraft zu etwas bringen im Leben.
Mit 18 Nummer-Eins-Hits und mehr als einer Milliarde verkaufter Platten setzte Elvis zu Lebzeiten über 200 Millionen Dollar um. Peanuts im Vergleich zu heute. Allein an Tantiemen fallen jährlich 25 Millionen Dollar an, mehr als 30 erwirtschaftet Graceland.
Elvis
darf nicht sterben
Ein Sommerabend in Memphis. Joe Kent tritt auf: spöttisches Grinsen, pechschwarzes, auftoupiertes Haar, handtellerbreite Koteletten Er trägt den American-Eagle-Jumpsuit, den berühmten weißen Overall mit Brustlüftung und aufgesticktem rot-blauen Adler. Wie Elvis beim Aloha-from-Hawaii-Konzert anno 73, das via Satellit in die ganze Welt übertragen und von anderthalb Milliarden Menschen gesehen wurde.
Joe Kent ist ein Elvis-Double. An sich nichts besonders. Was seine Show einzigartig macht, ist der Ort. Sein Haus grenzt an Graceland. Joes Wohnzimmer ist die Bühne. Ein kleiner Raum, in dem sich zehn Gäste drängen. Acht Jahre war Joe Haussänger im „Hot Rod Diner“, einen Steinwurf von Graceland entfernt. Seine Shows waren Pflichtveranstaltungen für Elvis-Fans. Seit das Hot Rod geschlossen ist, tingelt er durchs Land. In Tourpausen lädt er zu Hauspartys. Für zehn Dollar gibt es Softdrinks, Popcorn und jede Menge Elvis-Songs.
Breitbeinig baut er sich mitten im Raum auf, schmachtet „Don‘t be cruel.“ Ramona aus der Nachbarschaft schließt die Augen und singt inbrünstig mit. Ja, Liebe kann grausam sein. Ihr Mann hat sich gleich nach der Geburt ihrer Tochter aus dem Staub gemacht. Seitdem schlägt sie sich mit zwei MacJobs durch. Joe greift ein Seidentuch, wie Elvis. Er wischt sich den Schweiß von der Stirn und drapiert es um Ediths Hals. Ein Kuss, ein entzückter Blick und eine innige Umarmung.
Edith, 50, dicke Brillengläser, etliche Pfunde zu viel, ist Stammgast bei Joe Kents Show. Oben in Ohio hat sie niemanden, außer einem Bruder, der nichts von ihr wissen will. Also verbringt sie neun Monate pro Jahr im Memphis. Die Elvis-Welt ist ihre Familie. Nun sitzt sie da in ihren beigen Boxershorts und dem weißen Tank-Top mit Elvis‘ Konterfei, während Joe aufdreht.
Er geht in Rücklage, rudert mit dem linken Arm. Ruckartig schießt die Hüfte vor. Drei, vier, fünf mal. Das wollen seine Gäste sehen. Sofort wird das Klatschen ekstatischer. Der echte Elvis mag tot sein. Aber für die Beladenen in Joe Kents Wohnzimmer ist dieser Elvis besser als gar keiner.
Dann das Finale: „An American Trilogy“. Alle stehen auf, fassen einander bei den Händen und singen mit. „I wish I were in Dixie“, das Lied der Südstaaten. Die „Battle Hymn of the Republic“, das Lied des Nordens. Und den Mittelteil: „All my trials, Lord, will soon be over.“ Wir-Gefühl und großes Pathos. Tränen kullern über verzückte Gesichter. „Elvis‘ Leben spiegelt amerikanische Nachkriegsgeschichte“, sinniert Joe als alles vorüber ist. „Der Auf- und Ausbruch der 50er, das Chaos der 60er und die Rückkehr zu den traditionellen Werten: Familie, Glaube, Vaterland. Deshalb ist er unsterblich: Elvis ist für unsere Sünden gestorben.“
Tom Noga
Tom Noga, Journalist aus Köln, arbeitet vorwiegend fürs Radio. Seine Spezialität sind Hörspiele und Reportagen aus den USA und Südamerika. Sein besonderer Zugang zu schrägen Themen mit schrulligen Menschen in schriller Umgebung brachte ihm schon zweimal den 1. Preis der RIAS Berlin Kommission ein.