Editorial

 

Liebe Freunde, Kollegen, Medienschaffende,

haben wir uns beschwert? "Männer können kochen... Frauen müssen kochen!" Nein. Wir wünschen uns einfach alle an den Herd, die dort gerne stehen, dann schmeckt's am besten. Aber doch interessant, dass unsere dritte Ausgabe 2011 mit dem Thema "Küche" fast ausschließlich Männer präsentiert.

Haute Cuisine auf ***Niveau kommt von Gregor Weber, unserem liebsten "Tatort"-Kommissar. Am Herd kann kann ihm keiner das Wasser reichen. Denn der Schauspieler hat mit Mitte 30 eine Ausbildung als Koch in einem Sterne-Restaurant absolviert, weil er mal was anderes machen wollte.

Aus einem Buch, das am Montag erst erschienen ist, servieren wir Euch eine Passage über das "Kochen" mit Günther. Christian Bartel, einer der bekanntesten Poetry-Slammer Deutschlands, beschreibt eine ganz schräge Menu-Zubereitung in seinem "Zivildienstroman". Visuell auf- (und zu-) bereitet wird Escapade belles-lettres dieses Mal geschmackvoll von HJ Bremen; Gerd Neuhaus kocht auch nur mit Wasser, und die junge Fotografin Ina Anderle bewahrt als einzige Frau hier einen kühlen Kopf.

Einen Apéritif haben wir noch: Escapade-Print ist da! Ihr könnt jetzt schon bei uns ordern, wir haben eine sehr limitierte Auflage, die wir demnächst  noch genauer vorstellen.

Bon appétit wünschen immer hungrig

Eure,
Flora Jörgens und Silke Vogten

Foto: Miss Confused von Ina Anderle

Ina Anderle lebt und arbeitet am Starnberger See. Mehr von ihr unter www.ars24.net

Foto: Ein Glas vorn von HJ Bremen

Hermann-Josef Bremen kann nicht kochen und muss nicht kochen. Seine Frau Marliese ist nämlich nicht zu übertreffen. Kreationen wie Graupenrisotto mit Steinpilzen zu selbstgebeiztem Lachs auf feinstem Porzellan sind Standard. Und wenn die Köchin des Hauses eine Auszeit braucht, geht sie mit ihrem fotografierenden Mann ins Restaurant der Tochter, das im Kölner Raum herausragend ist. www.glaewesrestaurant.de

Kochen ist Krieg

High End

Der Souschef mustert mich nervös, er überlegt, womit er mich jetzt beschäftigen könnte, "irgendwie is des unnergegange, dass du heut da bist. Hätt ich dir nämlich der ganse Schnibbelkram auffs Au gedrückt", babbelt der gebürtige Pfälzer von der Loreley, "egal, mir finne schun was."
Wo es in anderen, simpleren Küchen bei der Einarbeitung von neuen Köchen immer genug Aufgaben gibt, die man bedenkenlos und gerne delegiert, ist das hier eben nicht so einfach. Man muss nämlich auch bei einem geprüften Facharbeiter wie mir erst mal gucken, ob der auch bei einfachsten Vorbereitungsarbeiten so exakt, selbstständig und schnell arbeitet, dass man nicht ein paar Stunden später bei der Betrachtung seines Beitrages zum Mis-en-place einen Herzinfarkt bekommt, weil er unter "Brunoises" etwas versteht, was hier allenfalls als grober Würfel durchgeht, oder aber der Kerl zur Herstellung derselben eine Stunde braucht, das Zeug aber schon in zwanzig Minuten blanchiert und abgeschreckt in der Kühlschublade liegen muss. Und den "Schnibbelkram", den man Obskuranten wie mir aufs Auge drücken kann, ohne sie die ganze Zeit unter Beobachtung zu halten, den haben Maus und die Kollegen heute schon längst hinter sich gebracht.

Aber ein Souschef wäre kein Souschef, wenn er nicht etwas zu tun fände, und so darf ich mich mit einem Teil der Amuse-Gueule-Vorbereitungen befassen. Ein Blech voller kleiner runder Teigplätzchen, Durchmesser etwa fünf Zentimeter, muss belegt werden. Zunächst soll ich auf jedes einen winzigen Klecks hausgemachtes Basilikumpesto aufstreichen, genau in die Mitte, darauf kommt dann ein kleiner Würfel Mozzarella, darauf wiederum eine Ofentomate, die dann später ein Topping von Oliventapenade kriegt. Eine Ofentomate ist hier nicht etwa eine im Ganzen getrocknete Frucht: Die Tomaten wurden überbrüht, geschält, geachtelt, entkernt und dann mit Öl, Salz, Pfeffer, Knoblauch und Kräutern im Ofen getrocknet. Das ergibt viele sehr dünne und zerbrechliche Spitzovale, die auf geöltem Backpapier zum Liegen kommen, immer etwa zehn pro Lage. Je zwei dieser Tomatenstücke müssen zu einem flachen, viereckigen Paket zusammengelegt werden, das dann seinen Platz auf dem Mozzarella findet. Es ist schwierig, die Tomatenstücke unbeschädigt vom Papier zu lösen, es ist noch schwieriger, sie zu besagtem Paket zu falten.

Die Finger werden immer öliger, die Tomaten scheinbar immer empfindlicher, und bei jedem Stück, das hoffnungslos in Fetzen gegangen ist, stell ich mir vor, wie der Entremetier bei jeder von mir ruinierten Tomate sein Messer fester halten muss, damit es nicht wie ferngelenkt seinen Weg in mein Bein findet. Der Mann bringt alle zwei oder drei Tage sicher eine Stunde - ohne das Trocknen - mit der Herstellung dieser Ofentomate zu, eine Arbeit, die bei mir wenigstens zwei Stunden dauern würde. Patrick Maus greift immer wieder ein und zeigt mir, wie man mit eineinhalb Fingergriffen Pakete formt, die aussehen, als hätte sie eine Ofentomatenfaltmaschine hergestellt, alle genau gleich. Wenn ich nicht schon zwei- bis dreitausend solcher frustrierender Erfahrungen in Küchen gemacht hätte, würde ich jetzt wie ein Dreijähriger schmollen.

Gregor Weber

Gregor Weber, geboren 1968, Koch, Schauspieler und Drehbuchautor, bekannt als Sohn Stefan der "Familie Heinz Becker" und Hauptkommissar Deininger im saarländischen "Tatort". Ein Ausschnitt aus seinem Buch "Kochen ist Krieg!", (Piper Verlag) zehn Reportagen aus ganz unterschiedlichen Profiküchen Deutschlands. Beim o.a. 3-Sterne-Restaurant verzweifelt Weber, der im Sterne-Restaurant "Vau" ausgebildet wurde, am Segmentieren einer Orange: die einzelnen Fruchtfasern müssen herausgelöst werden... Das sehr lesenswerte Buch landete bereits auf der "Spiegel"-Bestseller-Liste. Wir freuen uns, Gregor Weber, der "Escapade-Abonnent" ist, nachdrucken zu dürfen.

 

Fotos: Tomate und Zitrone von HJ Bremen

Kochen braucht Zeit

Günther und die Zwiebel

Wir müssen dann auch mal loslegen, sage ich - in dreieinhalb Stunden ist Abendessen, und Günther soll bis dahin eine Zwiebel kleingeschnitten haben. Er tut das sehr gerne, aber meist gibt es die Zwiebel zum Nachtisch, weil Günther erst dann mit Schneiden fertig ist, trotzdem besteht er jedes Mal drauf.
Wenn dienstags keine Zwiebeln im Haus sind, legt sich Günther sofort ins Bett, starrt die Wand an und geht am nächsten Tag nicht arbeiten.

Das ganze Behindertenbusiness ist so ein hochsensibles Ökosystem mit ellenlangen Interdepenzketten, und wenn nur ein winziges Detail verändert wird, gerät alles aus den Fugen, denn wenn z.B. Günther wegen der fehlenden Zwiebel am nächsten Tag nicht arbeiten gehen kann, ärgert sich seine Kollegin Annika aus der Behindertenwerkstatt darüber, lässt das in der Mittagspause an Traudchen aus, worauf Traudchen heimlich ihre Sachen packt und zu ihrer Lieblingsoma fahren will, um sich trösten zu lassen, obwohl sie vergessen hat, wo diese Lieblingsoma wohnt, die überdies vor zwölf Jahren verstorben ist, was Traudchen natürlich ebenfalls vergessen hat, und fünf Stunden später kommt dann ein Anruf von der Polizei, dass eine verwirrte Person abzuholen sei, die auf den Namen "Traudchen" hört und in einem gelben Haus mit roten Fenstern wohnt, bei dem die Frau Bernau Chef ist.
Und das alles wegen einer Zwiebel, muss man sich mal vorstellen. Seitdem bringe ich dienstags sicherheitshalber immer selber eine mit.

Erst legt Günther meine Zwiebel ganz vorsichtig auf das Brettchen und lächelt sie liebevoll an, bis ich sage, dass er jetzt mit dem Schälen anfangen kann. Neulich habe ich ausprobiert, was passiert, wenn ich nichts sage. Er hat die Zwiebel zwei Stunden lang freundlich angeguckt und dann versucht, das Usambara-Veilchen auf der Fensterbank in kleine Stücke zu hacken, weil es neben dem Schnittlauch stand.
Einmal hat Günther es sogar geschafft, den unteren Teil seines Gebisses in einer Lasagne zu verstecken. Honorarkraft Andi sagt, dass Günther dabei einen alten Echsen-Trick verwendet und sich so langsam bewegt habe, dass man die Bewegungen mit bloßem Auge gar nicht mehr habe wahrnehmen können. Wahrscheinlicher ist aber, dass den beiden bloß langweilig war und sie sich gedacht haben: "Na, lassen wir es drin, wird schon jemand finden", und so ist es dann ja auch gekommen.

Gerade steht Günther auf und sucht in der Schublade nach dem Messerchen mit dem roten Griff, denn wenn das nicht da ist, ist die Sache gelaufen und man muss alleine kochen.
Heute haben wir Glück, das Messer ist da, und während ich die Spülmaschine ausräume, die Küche fege und Salat putze, seziert Günther hochkonzentriert seine Zwiebel. Immer wenn er eine Scheibe abgeschnitten hat, hält er sie gegen das Licht und schaut sie genau an, dann legt er sie zur Seite und macht erst mal Päuschen.

Christian Bartel

Christian Bartel, Jahrgang 1975, lebt in Bonn, Mitglied der Lesebühnen "Der Kleingeist" und "Rock n Read". Poetry-Slammer, Satirenschreiber für die taz, Mitherausgeber von "Götter, Gurus und Gestörte" und des Magazins für komische Literatur "Exot". Er hat 2008 den Erzählband "Seit ich Tier bin" veröffentlicht. Der Auszug oben stammt aus seinem neuen Buch "Zivildienstroman", das am 21.3. erschienen ist (Carlsen-Verlag) Ein sehenswerter 4-Minüter über Christian Bartel findet sich unter www.carlsen.de/web/cartoon/buch?tn=168182

Foto: Ein fast leerer Topf von Gerd Neuhaus

Fotograf Gerd Neuhaus aus Bochum-Wattenscheid stieß per Zufall auf Escapade als er im Internet nachforschte, weil er wissen wollte, wer ihn demnächst interviewt. Für uns fotografierte er "Kochkunst", so nennt er seine Serie, aus der wir nun ein Motiv präsentieren.