Editorial

 

Liebe Freunde, Kollegen, Medienschaffende,

ein Novum – wir widmen die aktuelle Ausgabe einem einzigen Künstler – und der hat’s verdient. Weniger, weil er im Ruhrgebiet lebt – obwohl er doch in der Schweiz geboren wurde – oder wir uns der Kulturhauptstadt „Ruhr 2010“ verbunden fühlen. Nein, sondern ganz einfach, weil seine Arbeiten einzigartig sind und wir so vieles von ihm zeigen möchten.

Wir sprechen von Robert Bosshard, dem „jungen Wilden“, der auch in seinem 70. Lebensjahr nichts von seiner munteren Aggressivität verloren hat, die er mit dem sanftmütigen Timbre des Schweizers charmant rauslässt…

Also auf ins Revier mit Robert Bosshard, dem Maler, Filmemacher, Kulturschaffenden und Soziologen – hier gibt’s mehr über ihn und natürlich von ihm.

Viel Vergnügen wünschen

Eure,
Silke Vogten und Flora Jörgens

Kopffüssler in Schublade

Bosshard,

Robert

1939 geboren in Amriswil (Kanton Thurgau in der Schweiz), wohnt seit vielen Jahren in Oberhausen (Ruhrgebiet in Nordrhein-Westfalen Deutschland).
Künstlerische Ausbildung in einer je siebenjährigen Angestelltentätigkeit als Sozialwissenschafter (Universität Bern und Bochum), Sozialplaner (Büro Einsele Gladbeck und Planergruppe Oberhausen) und Soziotherapeut (psychiatrische Landesklinik Düren). Es wäre also falsch, ihn als Autodidakten zu bezeichnen.

Seit 1984 ist er freiberuflich als Künstler tätig. In seiner fünfzigjährigen Berufspraxis als Autor, Filmemacher, bildender Künstler und Performer hat er immer auch die Zusammenarbeit mit geistesverwandten Künstlern gesucht. Unter anderem ist er Mitbegründer der Gruppe „Streichquartett“ (bildende Kunst mit Rainer Bergmann und Ernst Baumeister), des „Agentenkollektivs“ (Experimentalfilme und Performances mit Friedhelm Schrooten) und der Gruppe „Lichtkontrolle“ (Multimedia mit Tom Briele und Peter Simon).

In seiner Malerei konzentriert er sich auf die Technik der Ölmalerei, orientiert sich formal an dem, was man „figürlich“ nennt, konzentriert sich thematisch auf „Menschenbilder“, hinterfragt tabuierte Kommunikationszonen und reflektiert soziale Bewegungen.

Seine Filmerei ist primär durch die Neugierde motiviert, was die inflationären „bewegten Bilder“ von den extraordinären Standbildern unterscheidet, und so weiß er nie so richtig, in welcher Bildgeschwindigkeit (25 pro Sekunde?) er seine Bilderflut abwickeln soll. Es bleibt die Ambition, medien- und gesellschaftspolitische Reflektionen an die Frau / den Mann zu bringen. Seine Schreiberei ist beliebig, opportunistisch, ringt um Worte und Begriffe, und macht deutlich, dass er gern wissen würde, wohin sich wenden in unserer Zeit, das heißt, wo Aufmerksamkeit noch zu erringen wäre, wie politisierend die Sprache des Autoren auch die des Rezipienten berühren könnte.

Nur zu gern möchte er seinen Optimismus der nächsten Generation vererben.

Emmeli und Päuli (Schaible/Huber)

Bosshard

Hauptstadtchaos an der Ruhr

...Oh ja
Die Schwerindustrie ist dahin
Das Finanzkapital verzockt
Die Unternehmermoral verstockt
Alle Verantwortung verkocht
Und die Gemeinwirtschaft pocht
Auf Privatisierung
Sonst auf Nichts
Versteckt als Überdruss
Verkommt der Überfluss
Zum Teufelskuss
Der Rentabilitätsaussicht
Amputiert die Arbeit vom Produkt
Verarscht das Werk
Vernascht den Wert
Und wer nicht tickt
Der wird ins Prekariat verschickt
Ach Ihr
Die Ihr nur noch s’Scheyttern checkt
Und nichts als Pleitgen produziert
Euer Chaos ist verdreckt
Falsch halluziniert
Oh ja…

Rap © TJ Robo, (1 Strophe, 1 Refrain)

Beobachtung

Bosshard

Machtspiele

...Nehmen wir die Geschichte der Krupps: Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts war es eine Wirtschaftskrise und in deren Folge eine betriebliche Insolvenz, welche das Wirtschaftsimperium in Form brachte. Damals hatte Friedrich Krupps Witwe nach dem finanziellen Kollaps in die Zeitung setzen lassen, ihr Mann habe auf dem Sterbebett seinem Nachfolger Alfred das Geheimnis des Gussstahls verraten. Der Junge soll dieser mütterlichen Täuschung regelrecht verfallen sein und fühlte sich gezwungen, jenem fiktiven Gussverfahren, sei es mittels Industriespionage, fachlicher Initiativen oder raffinierter Ränkespiele gegen die Konkurrenz, unbedingt auf die Spur zu kommen, und zwar derart aufopferungsvoll, dass er die ganze Belegschaft in sein Wahnsystem einzubeziehen vermochte, den Werktätigen Uniformen mit Abzeichen als Arbeitskleidung verordnete, exklusive Werkswohnungen und eigene Betriebskrankenhäuser aufbaute, sie zwang in firmeneigenen Konsumanstalten einzukaufen und im Umfeld der 1848er-Unruhen sogar die erste Werkspolizei einführte, sodass er mit Stolz verkünden konnte, eine unternehmenseigene Rasse, eben die Kruppianer herangezüchtet zu haben. Natürlich ging es schon damals wie heute, er kaufte zu völlig überzogenen Preisen die seine Allmachtsfantasien störende Konkurrenz auf, expandierte weit über seine Wirkungsmöglichkeiten hinaus, und verfügte schließlich über mehrere hundert Minenbeteiligungen und eine eigene Schiffsflotte, bis dann, eben wie wir es kennen, rundum die Banken zusammenkrachten. Es war die große Gründerkrise „ausgebrochen“, und wieder führte diese nicht zur Infragestellung, sondern im Namen des etablierten Wirtschaftssystems zur Stabilisierung der kruppschen Eigentumsrechte, und zwar diesmal dank des Kaisers, der das zahlungsunfähige Unternehmen wieder zahlungsfähig machte, um damit das kruppsche Imperium dem Staat gefügig zu machen. Und sein Sohn Fritz, zum einen ein wahrer Zauberlehrling seines in das kruppsche Unternehmen verliebten Vaters und zum anderen verwöhnt von der im Liebeshunger frustrierten Mutter, wurde zu einem nach heutigen Maßstäben idealen Manager der Ränkespiele zwischen imperialen Expansionsinteressen und industriellen Wachstumswünschen, sodass bald schon das Industrieprodukt Kruppstahl als Symbol für den Aufschwung des Kaiserreichs fungierte. Da er aber im Größenwahn unantastbarer Prominenz ein lächerlich peinliches Intimleben öffentlich vorführte, musste er schließlich umständlich kompliziert sterben, was die Kaiserlichen per Medienkampagne nutzten, um die Sozialdemokraten, welche Fritzens Italienskandal verhöhnt hatten, als Mörder, also verantwortlich für Fritzens Selbstmord erscheinen zu lassen. Und siehe da, schon wieder war im gleichen Atemzug eine konjunkturell bedingte so genannte Finanzkrise gemeistert, indem diesmal der Waffenproduktion absolute Priorität gegeben wurde. Der Kaiser persönlich designierte zwecks Erhaltung der engen Bindung an die Krupps ein exaktes Ebenbild von sich selbst, den Gustav „Krupp“ von Bohlen und Halbach, zum (sechzehn Jahre älteren) Gatten (der soeben volljährig gewordenen) legitimen Krupptochter Bertha, und ließ „in väterlicher Zuwendung“ auch im Namen seines gesamten Kabinetts, welches inklusive Kanzler und dem Generalstab von Heer und Marine komplett an der Heiratszeremonie in Essen teilnahm, „seine Tochter“ in Jubeltönen hochleben…

zur Vereinigung

Bosshard

Machtspiele

...Die auffälligsten Charakterzüge Gustavs drückten sich in seiner absoluten Bereitschaft zur Unterordnung unter jede von ihm als übergeordnet empfundene äußere Autorität aus und dem entsprechend in einem wahnwitzig anmutenden Anspruch auf Pünktlichkeit seiner Abhängigen. Jedes Verlangen nach Weile und Wärme wurde von ihm als Schwäche ausgelegt, ein irrer Kontrollzwang charakterisierte den gesamten Konzern, peinliches Herumschnüffeln im Privatleben aller Beschäftigten und ein uneingeschränktes Misstrauen gegenüber jedem eigenständigen Denken beherrschte die Stimmung, was ihn zum unhinterfragbaren deutschnationalen Idealpatrioten modellierte und propagandistisch seinen Konzern zur „Waffenkammer des Reichs“ hochstilisierte. In Übereinkunft mit den faschistischen Ideologien ließ er den Werkschutz die ihn sozialdemokratisch anmutenden Kruppianer zum Verhör in die Gestapozentralen begleiten, und war bald auch zum größten Geldsammler für Hitler geworden. Sein ältester Sohn Alfried, als Minderjähriger bereits förderndes Mitglied der damals noch als kriminell eingestuften SS, musste zwar, endlich selbst am Ruder, trotzdem die fünfundvierziger Niederlage hinnehmen, schaffte es jedoch gleichfalls wie schicksalsmächtig, trotz Verurteilung im Rahmen der Nürnberger Prozesse die ökonomische Potenz des kruppschen Kapitals in aller Öffentlichkeit zu rehabilitieren und damit dem althergebrachten Wirtschaftswunder des Reviers den roten Teppich ausrollen zu lassen. Bis dann eben anlässlich der Insolvenzen im Rahmen der das kruppsche Ruhrgebiet schwer treffenden Kohle- und Stahlkrisen der Staat wieder mal die Verantwortung für die Entsorgung der Soziallasten und anderen industriell hergebrachten Zerstörungen, also für die fehlgeleiteten kruppschen Hinterlassenschaften übernahm, worauf, finanziell entlastet, das kruppsche Kapital profitablere Regionen aufsuchen konnte … und zum Dank in Form der Stiftung Villa Hügel den gefallenen Kruppianern ein Denkmal setzte. All diese zutiefst archaisch anmutenden Machtspiele wirken wie vom Schicksal so gewollt, sodass viele der davon Betroffenen sich von den sie verantwortenden Kulturträgern und Wirtschaftsweisen abwenden und, also mürbe gemacht und der Politik müde, zur Rettung ihres minimalen Wohlstands ihre alltäglichen Demütigungen und die daraus resultierenden Aggressionen privatisiert mit sich selbst ausleben. Dabei wird bekanntlich das Soziale und also der Gemeinsinn ins kumpelhaft Gesellige verschoben, und man erfährt den gesellschaftlichen Zusammenhang primär über die eigene Leistungsfähigkeit, wird im Schwerpunkt über Konsum und Gesundheitspflege vermittelt sozialisiert. Nur wenige Privilegierte vermögen dann die Balance zwischen dem Bedürfnis nach Kreativität (Veränderung der störenden Aspekte der herrschenden Zustände) und dem nach Sicherheit (Schutz der privat erarbeiteten Sphären) von sich aus noch im Gleichgewicht zu halten, denn der in der Masse der Käufer von Marken, und im Block der Besucher von Events isolierte Rezipient ist haltlos in seiner Vereinzelung, ist hin und her gerissen zwischen Hysterie und Langeweile, und vermag sich nur noch in Form der Maximierung des Verbrauchs auf der Höhe der Zeit zu halten. Für eine friedfertige Zukunft bedarf es jedoch kreativer, politisch gefestigter und kulturell beförderter kollektiv erlebbarer Umgangsformen mit der eigenen Wut auf die vorherrschenden finanzpolitischen motivierten Machenschaften, mit der Angst vor der leichtsinnigen alltäglichen Gefährdung des sozialen Friedens im Revier. Es geht um die Entwicklung von Widerstandsperspektiven gegen die durch ruhrgebietsferne Profitinteressen forcierten so genannten Privatisierungen und gegenüber der systematischen Verwahrlosung vermeintlich unrentabler Zonen des Reviers. Anstellte der herrschenden, wie unfassbar abstrakt sich gebärdenden, strukturellen Gewalt muss ein auf die Region bezogener kritikoffener Anstand erzwungen werden.

Robert Bosshard, siebzigjährig, vor vierzig Jahren als Industriesoziologe ins Ruhrgebiet zugezogen und hier zum Kulturinterpreten umerzogen, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Denkende auf Holz