Editorial

 

Liebe Freunde, Kollegen, Medienschaffende,

treffen sich zwei... was so beginnt, ist in der Regel ein Witz mit dröhnender Pointe.
Treffen sich zwei - als Buchtitel für eine Liebesgeschichte ist das zart, subtil, hingehaucht. Aber dann wird schnell klar, dass diese Liebe tatsächlich ein Witz ist. Und die Hauptfiguren sich in ihrer Verknalltheit ganz schön lächerlich machen.
Denn die Beiden könnten kaum unterschiedlicher sein: Sie leben zwar in derselben Stadt, haben beide die 40 überschritten, doch da enden schon die Gemeinsamkeiten. Er ist Systemberater mit gut dotiertem Job, sie flattert als Geisteswissenschaftlerin ohne Abschluss unterbezahlt in der Kulturszene herum.
Auch sprachlich trennen sie Welten...
Iris Hanika landete mit dem Roman 2008 auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises, hat gerade einen neuen veröffentlicht - "Das Eigentliche" - und stellt Escapade belles-lettres freundlicherweise einen Auszug aus ihrem "roman d'amour" zur Verfügung.

Für uns Anlass genug, eine ganze Ausgabe lang die Eigendynamik einer Zweierbeziehung zu beleuchten. Mit einem Kunstwerk von Maite Weissert, einem Foto von Michael Dressel und einem Gedicht von Armin Bings.

Hoffentlich treffen wir zwei Euch damit ins Herz.
Eure,
Flora Jörgens und Silke Vogten

Treffen sich zwei

 

Foto: Z Girls von Michael Dressel

Fotograf Michael Dressel arbeitet gerade als Soundeditor in L.A. am neuen Film von Clint Eastwood. Er wird "Hereafter" heißen und in San Francisco, Paris und London spielen.
www.Michaeldressel.com

Treffen sich zwei

Ausgehend von

Ausgehend von
den Stellen an denen
wir uns berühren
erkunden wir was uns
anmacht und ausmacht
entblättern
einander
verwundert und froh
und mit
größtmöglicher
Andacht

Armin Bings

Armin Bings lebt und schreibt in Köln, bisher veröffentlicht in Anthologien und Literaturzeitschriften. Seit 5 Jahren Veranstalter und Moderator von Lesungen im Café Franck, Köln-Ehrenfeld. Nächste Lesung: am 6.8. mit Lucien Deprijck und Sven-André Dreyer im Vehlingshof, Düsseldorf.
www.schoenerlesen.blogspot.com

Treffen sich zwei

 

Das Programm abbrechen, den Ablauf anhalten, die Speicher löschen. So hatte er das in der Zeit genannt, als er seine Diplomarbeit schrieb. Mit vielen Bieren die Speicher löschen. Das O-Paradies schien ihm dafür der am besten geeignete Ort, weil dort alle möglichen Arten von Leuten herumsaßen, jedoch garantiert keine Programmierer und auch keine Vertriebsmitarbeiter.
Er setzte sich auf einen der rotlackierten Barhocker am Tresen, bestellte das erste Bier bei dem homosexuellen Schankkellner und trank es in großen Schlucken konzentriert aus. Sobald das Glas leer war, bestellte er das nächste, das er dann schon in etwas kleineren, aber immer noch sehr konzentrierten Schlucken bis zur Neige trank. Das Speicherlöschprogramm war korrekt angestoßen worden und wurde präzise abgearbeitet. Der Schankkellner schäumte gerade Milch auf, was sich anhörte wie ein startendes Flugzeug, verstand aber, was er wollte, als er auf sein zweites leeres Glas deutete, und nickte. Dann ging Thomas aufs Klo, und als er wiederkam, stand Senta neben seinem Barhocker. Stand da einfach. Stand da plötzlich diese Frau. Er begriff nicht gleich, was das nun war und blieb auf halbem Wege stehen, um sich seiner selbst zu vergewissern. Ob er jetzt schon Halluzinationen hatte oder was? Nach zwei Bier? Er war doch noch lange nicht blau genug, auch wenn es heiß war, um Dinge zu sehen, die gar nicht da waren. Als wären seine Wünsche aus ihm herausgetreten und hätten sich in diesem Frauenkörper materialisiert, so war das nämlich, was er da sah. Wie in "Matrix", dachte er und wartete darauf, daß sich diese Erscheinung in fließenden Code auflösen würde.

Es war auch so still.
Als wären die Geräusche noch nicht programmiert worden.

Der Mann hinterm Tresen schob eine neue CD ein, drehte sich zum Zapfhahn um und ließ etwas Bier in Thomas' nächstes Glas laufen, dabei beugte er sich zur Seite und sah Senta tief in die Augen, bis die ihm sagte, was sie haben wollte, nämlich eine Weißweinschorle. Der Mann hinterm Tresen nickte, es zischten Geräusche durch die Lautsprecher, und während das große britisch-japanische Getrommel von der letzten CD der "Creatures" anhub, drehte sie sich um und sah ihn da stehen, ein paar Meter entfernt. Er sah sie ganz erschrocken an, und sie erschrak auch.

Some Day, He'll come along Als sie ihn das erste Mal sah the man I love, war sie wie vor den Kopf geschlagen. Im ersten Moment glaubte sie an eine Erscheinung and he'll be big and strong, denn er sah genau so aus the man I love, wie in ihren Gedanken immer der Mann ausgesehen hatte, den sie einmal lieben würde. And when he comes my way, I'll do my best to make him stay. He'll look at me and smile and I'll understand. In a little while, he'll take my hand, and, though it seems absurd, I know we both won't say a word. Bloß hatte sie sich nie Gedanken darüber gemacht, was anschließend geschehen sollte. (We'll build a little home, just meant for two, from which I'll never roam, or what would you? And so all else above, I'm waiting for the man I love.)
Nicht, daß er ihr Typ gewesen wäre oder sie ihn wenigstens besonders schön gefunden hätte, auch in ihren Hirnbildern war das nicht so gewesen. Sie hatte nur, wenn sie an den Mann gedacht hatte, den sie später einmal lieben würde, immer dieses Bild vor Augen gehabt.
Und nun war es Fleisch geworden.

Also war es jetzt soweit.
Die Liebe sollte beginnen.

Tatsächlich dachte sie in diesem Moment aber weniger an die Liebe, sondern mehr an ihr Bild von der Liebe, und daß er so aussah wie ihr Bild von diesem Mann, mit dem sie die Liebe durchexerzieren sollte, obwohl er kein Bild von einem Mann im landläufigen Sinne war. Nur ihr Bild von einem Mann. Wie ich ihn oft gesehn, so steht er hier.
Und weil sie ihn schon kannte, wenn auch nur von außen, er ihr zugleich aber völlig fremd war, da darum starrte sie stier ihn an und anstandslos, ganz und gar gar nicht verführerisch oder mädelmäßig mindestens, vielmehr mehr so dödelmäßig doof glubschglotzte sie ihn da an, so ein doofes Glubschgläufelgeglotze veranstaltete sie da, oh je, und hörte gar nicht mehr auf damit. Am Ende hatte das gewiß nur ein paar Sekunden gedauert, aber die innere Zeit läuft ja ganz anders als die äußere, und als sie ihn sah, blieb sie einfach stehen, die Zeit, und stand so da, wie er da stand, mitten im Raum, vielleicht drei Meter entfernt von ihr, ganz ruhig, ihr gerade gegenüber. Er sagte nichts, er schaute sie nur an und ließ sich ruhig von ihr betrachten, wie sie sich von ihm betrachten ließ.

Iris Hanika

Iris Hanika: Treffen sich zwei, S. 13-16. (c) Literaturverlag Droschl, Graz - Wien
Mehr Infos, auch zu Lesungen, unter www.Iris-Hanika.de

Foto: Maite Weissert

Treffen sich zwei

Matchboxes & Cheesecases

Wie viele Dimensionen passen in eine Streichholzschachtel? Mindestens: Pornographie, Philosophie, Stil, Statement, Ironie, Besessenheit, Kontroverse und Charme. "Matchboxes & Cheesecases" werden zu detailreich ausgestatteten Bühnen, auf denen komplexe Szenen stattfinden. Die Objektkünstlerin Maite Weissert ist Produzentin, Bühnenbildnerin und Regisseurin dieser winzigen Varietés und betreibt sie mit Leidenschaft und Freigeist.
Wenn die Schachteln auch mit Perlen, Federn, Schmetterlingen und Blumenranken von liebevollem Mädchenflair umsponnen sind - die darin stattfindenden Geschichten sind oft abgründig und alles andere als niedlich. Schweine mit Flügeln, Engel mit Maschinengewehren, Skelette mit Brautschleier, einsame Penisse und blutüberströmte Gartenzwerge - wildes, buntes Theater auf wenigen Kubikzentimetern.

Crazy

Maite Weissert lebt und arbeitet in Lohmar. Ihre winzigen Objekte hat sie zuletzt auf der "tease art fair" in Köln und im Kunstkiosk in Dinslaken präsentiert.
www.maitemaite.com

Snapshot: Markus Schipke

Treffen sich zwei

Twins

Dennis Hopper konnte sich die Ehre leider nicht mehr geben, doch dafür war Alt-68er Rainer Langhans (soeben frische 70 geworden) höchst persönlich zugegen, als die 'jumelles fatales' Gisela Getty und Jutta Winkelmann kürzlich ihren nagelneuen Bildband "THE twins" im Münchner Künstlerhaus am Lenbachplatz vorstellten. Das Buch widmet sich auf seinen 256 Seiten der "analogen Bohème", wie sie es nennen, und enthält jede Menge Porträts und Zitate aus wilden Zeiten - u.a. von Bob Dylan, Leonard Cohen, Sean Penn und Werner Herzog. Es ist erschienen bei Blumenbar. www.blumenbar.de
Die Fotoausstellung im Künstlerhaus läuft noch bis 24. Juli. www.kuenstlerhaus-muc.de

Treffen sich

Leser

"Die letzte Ausgabe von escapade war wieder super, die Bildchen sind echt klasse und auch die SMS-Abenteuer des Herrn W sind äußerst amüsant zu lesen! Reherl

"Die Zeichnungen haben mich wirklich umgehauen! So schön, dass man bei diesen Kritzeleien auf hohem Niveau immer auch noch über die unterschiedlichen Materialien grinsen musste; Küchenrolle, Zettelchen, was eben immer gerade so rumliegt. Mein Favorit ist der fliegende Igel und Gott/Deife, aber der Gottschalk in Nacken war auch nicht schlecht herbeiphantasiert!" Vera

"Die Escapade Nr. 13 hat mir super gut gefallen. Ich hätte noch zig mehr von diesen sms-Geschichtchen lesen können. So locker leicht und witzig. Eine wahre Wohltat und Oase in all dem Chaos. Herrlich leichtfüßig! Aber Frauen gibts, die gibts gar nicht - ist auch ein Gedanke nach fast jeder der Stories. Gibts die wirklich? Welch Biester existieren da nebenher?" Anna

"Das Heft gefällt mir dieses Mal besonders gut, vor allem die Zeichnungen. Sehr schön. Als alte Feministin habe ich bei den (sehr amüsanten!) Wimmer - Texten allerdings gedacht "ph, selber schuld, solltest dich mal in deiner eigenen Altersklasse umschauen". Birgit