Editorial

 

Liebe Freunde, Kollegen, Medienschaffende,

oben ohne – „Escapade belles-lettres“ ist dieses Mal so frei...

Textilfrei, der Text von Petra Trinkaus erinnert an Zeiten, wo ohne Gummi (auf dem Kopf) gar nichts ging. Die Autorin und Übersetzerin aus Köln schreibt einen Abgesang auf ein unkleidsames Kleidungsstück.
Derzeit sind wir übrigens alle ohne Kopf (das Gummi kommt an anderer Stelle zum Einsatz). Einen Weg aus der Misere kennt Achim Wigand, der als ehemaliger Boxer Schläge ganz gut weg stecken kann. Wir erleben ihn allerdings meist beim Austeilen.

Dazu passen die Fotos von Michael Dressel ganz wunderbar, der aus seiner Heimat, dem kalifornischen Hinterland, sonnenheiße Oben-Ohne-Motive glühen lässt. Mehr von Michael, dem Hollywood-Filmklempner und lebensfrohen Pessimisten: www.Michaeldressel.com
Eine Augenweide für Männer und andere Vergessliche finden

Eure,
Flora Jörgens und Silke Vogten

Foto: Lost Mind, Michael Dressel

Oben Ohne

Schlagt! Mich! Vor!

Endlich! Mein Traumjob ist vakant, der bräsige Sparkassenonkel mit dem Kirchentagsappeal hat seine Dienstwohnung aufgegeben, und ob der designierte Nachfolgekandidat das feuilletonistische Stahlgewitter der nächsten Wochen ohne schwere Einschläge in die Reputation überlebt, scheint fraglich. Die Tussi mit der Fruchtbarkeitsknolle im Kopfheck ist beleidigt, und der kluge Mann aus aus dem Spitzelakteninferno fällt wohl den Mehrheitsverhältnissen zum Opfer. Zeit für einen Kandidaten aus der Mitte der Bohème. Mich.

Wie das schon klingt: Achim Wigand, Spreeweg 1, Bundespräsidialamt - und ich stehe in den Startlöchern, erstmals alle verfassungsrechtlichen Monita erfüllend: 40 bin ich ja nun schon. Jetzt muss mich nur noch jemand vorschlagen; ich dachte da übrigens an euch. Wird ja wohl kein großer Deal sein, bei euren Kontakten und Verbindungen. Telefoniert also bitte ein bisschen für mich herum, becirct mit eurem Mädchencharme, eurer gesicherten Mittelstandseleganz und eurem präpotenten intellektuellen Aplomb den einen oder anderen Parteigranden, Wirtschaftskapitän und Arbeiterführer, und das Schloss Bellevue ist mein! Wow, bestimmt lauter Rassehasen am Start - knackige Übersetzerinnen, notgeile Sekretärinnen, scharfe Protokollkäfer. Ob mich der Boulevard wohl zum ersten Pornopräsidenten kürt? (Huch, schon wieder Chauvisprech, sollte ich mir prophylaktisch abgewöhnen).

Was fällt für euch dabei ab? Ihr werdet natürlich meine Pressesprecher, Spin-Doctors, Medienauftrittsinszenierende, Sommeliers oder Orgienregisseure. Wer gar nichts kann, ist immer noch für einen Beratervertrag oder als Medienkontakter gut. Kollegen das lohnt sich: Rüttgers, popliger MP, verlangte 6k für chambre privée, da sollte für das höchste Staatsamt schon das Doppelte drin sein. Macht bei geschätzt zehn Terminen pro Tag mindestens, au weia, also davon will ich auch was haben. eigentlich alles. Na, ihr könnt dann immer meine Biographen, nein, Hagiographen werden und nach wenigen Jahrzehnten meiner gütigen Herrschaft den Schlüsselroman aus dem präsidialen Lotterkabinett veröffentlichen und damit steinreich werden.

Es wird wohl euer Schaden nicht sein.

Meiner jedenfalls garantiert nicht.

Achim (sollte ich vielleicht ein "der Erste" erwägen? Ach nein, das ist abgegriffen, doch besser ein Beiname. Wie findet ihr "der Feminist"?) Wigand

Foto: Spring, Michael Dressel

Oben Ohne

Abgetaucht? Angesagt! Die Badekappe.

Die Kinder nannten ihn King Kong, und es ist nicht auszuschließen, dass er an der ganzen Geschichte schuld war. Er war Bademeister im Agrippabad und, wie es bei Ödon von Horvath so schön heißt, am ganzen Körper tierisch behaart. Bis zu seinem Auftauchen war die heile Badekappenwelt wasserdicht in Ordnung: Der Schwimmer hielt seinen Kopf bedeckt, basta. Wagten ganz Vorwitzige nach dem Sinn dieser Vorschrift zu fragen und bekamen sie gar, was in jenen autoritären Zeiten durchaus nicht immer der Fall war, eine Antwort, so enthielt diese serienmäßig die Partikel "unhygienisch" und "verstopft den Abfluss".

Seltsam nur, dass auch in Badeseen und selbst im großen, weiten Meer kaum Schwimmer ohne Kopfbedeckung ihrem Badevergnügen nachgingen. Dabei war auf den ersten Blick nicht eben leicht einzusehen, was ein paar kleine Haare den Abflüssen etwa von Ostsee oder Mittelmeer, sprich dem Skagerrak oder der Straße von Gibraltar, eigentlich anhaben konnten. Auch das Hygiene-Argument nahm sich angesichts von Öltanker-Havarien, Dünnsäureverklappung oder Wildpinkeln aus wie ein Wassertropfen im Ozean.

Vermutlich hatten wir es hier kulturhistorisch gesehen einfach mit Ausläufern eines bis weit in die fünfziger Jahre wirksamen Dresscodes zu tun, demzufolge keine Dame und kein Herr sich unbedeckten Hauptes in der Öffentlichkeit sehen ließen. In vorauseilendem Gehorsam beteten die Badekappenträger zudem scheinbar vernünftige Argumente für ihre Gummiüberzüge her: Unter der Badekappe würden die Haare nicht nass, hieß es, und sie schone die Frisur. Nun ja. Das Trockenhalten beschränkte sich auf einen so kleinen Bereich, dass es bestenfalls schwimmenden Mönchen trockene Tonsuren bescherte. Falls Mönche überhaupt schwimmen gehen dürfen. Und jede Frisur, die diesen Namen verdiente, wurde unter dem Gummiüberzug erbarmungslos und nachhaltig platt gedrückt. Dafür hinterließ der fest schließende Badekappenrand in der Haut rund um den Haaransatz äußerst unkleidsame, fest eingedrückte Rillen, die sich manchmal erst nach Stunden verflüchtigten. Weshalb wir Mädels zu Flirtzwecken lieber ins Freibad gingen und dort nicht etwa schwammen, sondern unsere Haarpracht und Bikinis dekorativ am Beckenrand zur Schau stellten.

Der Kappenzwang ließ uns keine Wahl, allenfalls die stark eingeschränkte zwischen den Modellen. Für Männer, die damals noch Herren hießen, und für Jungs, die auch damals Jungs hießen, gab es zweifarbige Exemplare, wahlweise schwarz-weiß oder blau-weiß, wahlweise ohrenbedeckend oder ohrenfrei. Für Frauen, die damals noch Damen hießen (und womöglich sogar waren), und für Mädels gab es das Einheitsmodell mit kleinen luftgefüllten Kammern in der Einheitsfarbe weiß. Ich erinnere mich außerdem höchst ungern an ein Exemplar in Leuchtrot, durch das möglicherweise die in Seenot geratene Schwimmerin in tobenden Nordseewellen vom Rettungshubschrauber leichter zu orten war, das aber in extrem unkleidsamem Kontrast zum nordeuropäischen Teint stand. Erst die sechziger Jahre brachten Leben ins Badekappendesign – in Form putziger kleiner Igelstacheln, wilder Op-Art-Muster und bunter Blütenarrangements. Eine besonders perverse Spielart waren die so genannten Badeperücken, die aufs Haar einer ziemlich schlechten Perücke glichen, aber aus unerfindlichen Gründen schwimmbadmäßig zugelassen waren. Speziell für ältere Damen entwarf man voluminöse, duschhaubenartige Gebilde, unter denen mühelos eine bis zwei Dauerwellfrisuren Platz fanden, ohne dass ihnen auch nur ein einziges Härchen außer der Reihe gekrümmt wurde. Die Damen erfanden dazu – Orthopäden wandten sich mit Grausen – einen entsprechenden Schwimmstil mit hoch aufgerichtetem Kopf und weit aus dem Wasser gereckten Oberkörper, so dass sie sich nahezu senkrecht durchs Wasser bewegten. Wenn sie nicht sowieso nur schwatzend am Beckenrand standen.

Schon damals übrigens musste sich die Badekappe Zweckentfremdungen gefallen lassen. Wir Kinder transportierten darin Wasser, um die – damals noch nicht verbotenen – Sandburgen zu gießen, oder richteten in der Badekappe temporäre Aquarien mit Krabben und Seesternen ein. Auch als Fahrradsattel-Schutzhülle eigneten sich die Gummimützen hervorragend, zumal sie durch den anknöpfbaren Kinnriemen, der ansonsten den Nebenwirkungen kühner Sprünge vom Drei-Meter-Brett entgegenwirken sollte, perfekt gegen Windstöße gesichert waren. Einen weiteren Verwendungszweck möchte ich wegen Unappetitlichkeit nur andeuten; er hing mit der noch nicht so richtig erfundenen Plastiktüte und meiner Neigung zu Übelkeit auf Autofahrten zusammen.

All das aber ist Schnee von gestern, also Wasser, denn mit den sechziger Jahren hielten nicht nur Prilblumen, sondern auch ein ziemlich rebellischer Geist Einzug. Sogar ins Schwimmbad. Hatten wir uns schon immer empört, dass einzig Vollglatzenträger von der Badekappenpflicht ausgenommen waren, auch wenn sie lange, wuselige Bärte trugen, so war die Einstellung des eingangs erwähnten Bademeisters Wasser auf unsere Mühlen: „Der flust doch wie ein fabrikneuer Flokati!“ Bald darauf weichten die Regeln, wie das in feuchten Umgebungen leicht geschieht, nach und nach auf: Erst durften Jungs und Männer ohne. Dann auch Mädchen und Frauen mit Kurzhaarfrisuren. Als es dann auch noch Männer mit langen Haaren gab, geriet die felsenfest geglaubte Geschlechterordnung vollends aus den Schwimmbadfugen. Nun hieß es: „Personen mit schulterlangen Haaren müssen Badekappen tragen.“

Das waren die Folgen von 1968. Noch heftiger aber waren, schwimmbadtechnisch betrachtet, die Folgen von München 1972. Leistungsschwimmer scherten sich weniger um Schwimmbadabflüsse als um die Aquadynamik, und so schoren sie, um ein paar Zehntelsekunden herauszuschinden, jedes einzelne Härchen an ihren durchtrainierten Körpern ab. Und das zur besten Hippiezeit. Zu dumm, dass diesen bleichen, haarlosen Zombies ein lecker sonnengebräunter, langhaariger und sogar noch schnauzbärtiger US-Amerikaner namens Mark Spitz davonschwamm und – Aquadynamik hin, Totalrasur her – satte vier olympische Goldmedaillen absahnte. Eine Badekappe trug diese Badeschönheit natürlich nicht.

Das brachte das Fass zum Überlaufen. Wie Clark Gable 1933 in „Es geschah in einer Nacht“ durch Nicht-Tragen eines Unterhemdes die amerikanische Unterwäscheindustrie ins Elend stürzte, so versetzte nun Mark Spitz der Badekappenindustrie den Todesstoß. Was jahrzehntelang nicht einmal zur Diskussion stand, war plötzlich möglich: Ein einziger Filter auf dem Abfluss ersetzte Badekappen auf Tausenden von Köpfen. Statt barschen Kappenzwangs hört man heute höchstens noch die Bitte, lange Haare beim Schwimmen zusammenzubinden. Als ob das Schwimmen mit langen, offenen Haaren nicht ohnehin etwa so amüsant wäre wie ein Querfeldeinlauf mit verbundenen Augen. Badekappen, an deren Design sich übrigens gegenüber den oben beschriebenen Modellen rein gar nichts geändert hat, findet man heute nur noch bei älteren Herrschaften. Neueren Datums sind lediglich die kondomartigen Überzüge auf den Häupten unserer Schwimmstars.

Die amerikanische Unterwäscheindustrie wurde übrigens 1951 durch Marlon Brando gerettet. Der sah in „Endstation Sehnsucht“ im T-Shirt so sexy aus, dass plötzlich alle welche tragen wollten. Und so prophezeien wir auch der Badekappe eine glänzende Zukunft als mega-angesagtes Szene-Kleidungsstück in Clubs und Lounges. Schließlich hat das mit dämlichen Anglerhütchen, piefigen Pudelmützen und biederen Badelatschen auch schon geklappt.

Petra Trinkaus

Foto: Cig, Michael Dressel

Oben Ohne

Unten Nichts?

Zugegeben, Michael Dressels letztes Fotomotiv mag Empörung auslösen: „Rauchen? Seid Ihr verrückt? Bitte nur noch oben ohne! Weg mit der Zigarette!!“

Außer Protestnoten und Drohbriefen könnt Ihr uns aber auch Ideen schicken, ursprünglich hatten wir mal eine Raucherecke in Escapade eingerichtet, dann eine dicke Überschrift „Tipps? Anregungen?“, die wir jetzt auch weglassen. Mailt einfach: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! oder Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Denn: alles ist im Fluss, nichts soll so bleiben.Und deshalb gibt es in dieser Ausgabe auch schon wieder etwas Neues: Markus Schipke hat "Escapade belles-lettres" ein neues Design verpasst, wieder ein Relaunch des noch so jungen Magazins. Und wir hoffen, das per Markus „style-sheet“ bald vernünftig bedienen zu können.

P.S. Die „akku“-Ausstellung ist ganz toll geworden und läuft noch bis zum 20.6. in der documenta-Halle in Kassel: www.ichsehewas.de

P.P.S. Mehr zu unserer Lesung am 10.6. folgt in Kürze