Editorial

 

Liebe Freunde, Kollegen, Medienschaffende,

„Verführerin Trösterin Mode“ – so heißt ein kleines Buch, das Walter Erben im Jahre 1955 veröffentlichte. Besser kann man’s nicht sagen. Wollen wir dem dennoch etwas hinzufügen? Ja! Jede Menge!

Denn in der aktuellen Ausgabe widmen wir uns der Verführerin voll und ganz – der Mode. (Wurde ja auch Zeit!)
Und das auf sehr unterschiedliche Weise. So gehen unsere Autoren (die diesmal alle mehr oder weniger aus dem Bereich der Mode kommen) ihr Verhältnis zur Mode mal essayistisch und zeitgeschichtlich, mal autobiographisch, dann prosaisch oder auch recht grotesk an…

So finden wir uns wieder zwischen durchgeknallten Redakteurinnen für Berufsmode, die nach den richtigen Worten ringen und erleben eine zweifelnde Deutsch-Afghanin auf der Suche nach dem Kleid, das es allen recht macht. Wir begleiten eine junge Verfechterin der gerechten Sache vor dem heimischen Kleiderschrank, wo sie umstrittene Mauerblümchen mit allen Tricks und Kniffen vor dem „Ausgemistet werden“ verteidigt.

Nicht zu vergessen, der elegante Exkurs in die Geschichte der Caprihose und wie ein Schlitz einen Skandal auslöste…

Die Fotographien von Vera Keysers und Dirk Bannert zum Thema führen in ein ganz eigenes Mode-Wunderland…

Sucht euch was aus!
Immer auf der Suche nach dem ultimativen Fummel

Eure,
Silke Vogten und Flora Jörgens

Foto: Dirk Bannert

Fotograf Dirk Bannert, Jahrgang 1967, lebt zurzeit am Niederrhein. Alle hier gezeigten Aufnahmen entstanden in Köln für ein Modelabel, einige davon wurden im Magazin Heimatdesign veröffentlicht. Mehr Infos und Portfolio unter www.foto-bannert.de

Mode braucht Platz

Ausmisten

Mein Freund steht vor dem Kleiderschrank. Stirnrunzeln, ein Seufzen. Er dreht sich zu mir um. „Es hilft nix, der Schrank platzt aus allen Nähten. Wir müssen mal wieder ausmisten.“ Platz für Neues schaffen, frischer Wind in der Garderobe – schön… Aber dafür das geliebte Alte wegwerfen? „Können wir nicht einfach einen neuen Schrank kaufen?“ Ein Grinsen. „Keine Chance. Wir machen es wie immer: du sortierst meine Sachen aus und ich deine.“ Meine kommen als erstes. Verdammt, ob nicht schon genug Platz im Schrank wäre, wenn wir seine Sachen zuerst aussortieren…? Aber es hilft nichts, er hat schon das erste Teil in der Hand. „Kann weg?“ fragt er. Ich bin schockiert. „Das? Nein!“ Das kennt er schon, mein empörtes Gesicht lässt ihn nicht so einfach nachgeben. „Wann hattest du es denn das letzte Mal an?“ Das wiederum kenne ich sehr gut. Die alles entscheidende Frage. Um das Teil zu retten, muss ich mit harten Bandagen kämpfen. Als bekennender Fan der TV-Serie „Lie to me“, bei der Experten durch angewandte Psychologie Lügner entlarven, habe ich mich bestens auf solche Situationen vorbereitet. Man darf mit der Antwort nicht sofort herausplatzen, aber auch nicht zu lange warten. Ein kurzer Blick zur Seite, als würde man sich auf die Erinnerung konzentrieren, eine klare Aussage, allerdings auch nicht zu präzise, sonst wirkt es unglaubwürdig. „Hmm… länger als 2 Monate ist das bestimmt nicht her.“ Er schaut mich prüfend an. Scheint abzuwägen. Zu überlegen, ob er mich in diesem Teil tatsächlich gesehen hat. Ein Nicken. „Na gut. Dann kommt es wieder zurück.“ YES! Sieg! Ein kurzer Moment des Triumphs, während er sich wegdreht. Aber nicht zu lange, denn schon hält er das nächste in der Hand. Ein weißer, knielanger Rock. Zugegeben, er ist fast durchsichtig. Verknittert schnell. Und schnürt ein bisschen ein, schließlich ist er schon 4 Jahre alt. Aber hey – an dem Teil hängen Erinnerungen. Den hatte ich bei meiner mündlichen Abiprüfung an. Das war bevor ich wusste, dass er gegen die Sonne durchsichtig wird. Und er hat mir Glück gebracht. Ein liebgewonnener Freund. Dass ich ihn seit zwei Jahren nicht mehr anhatte, muss mein Freund ja nicht wissen… Offenbar habe ich schon zu lange überlegt, er schaut mich skeptisch an. Die Schlacht geht in die nächste Runde…

Ein bis zwei Kleidungsstücke lasse ich ihn aussortieren, alles brauche ich ja wirklich nicht. Kleine Erfolgserlebnisse tun schließlich gut. Jetzt ist sein Teil vom Schrank an der Reihe. Und durch meine TV-psychologische Weiterbildung vom Mittwochabend kann ich die Tricks und Kniffe nicht nur anwenden, sondern auch erkennen… Frühjahrstrends, ich komme. Bald ist wieder genug Platz im Schrank.

Daniela Pinkowski

Daniela Pinkowski, Jahrgang 1987, bezieht ihr Einkommen in der schreibenden Zunft und plädiert dafür, dass Texte zukünftig nicht mehr von Kunden oder Interviewpartnern freigegeben werden, sondern vom Blabla-Meter.

Foto: Dirk Bannert

Mode schätzt Skandale

Ein Hauch von Dolce Vita

Arbeit adelt. Auch dann, wenn bereits blaues Blut in den Adern fließt. Wie bei Emilio Pucci (1914-1992), einem Marchese di Barsento, der aus jener Aristokratenfamilie Italiens stammte, die im 16. Jahrhundert mit Kardinal Pucci den mächtigsten Mann der Kurie stellte. Emilio Pucci wurde der erste seines Adelsgeschlechts in 1000 Jahren, der gearbeitet hat.

Eigentlich war Emilio Pucci für den diplomatischen Dienst bestimmt. Der Florentiner wurde stattdessen Bomberpilot und Abenteurer mit einem Doktorhut aus den USA im Fach Politische Wissenschaft. 1934 gehörte er zum olympischen Skiteam Italiens und entwarf nebenher für seine Kollegen Skianzüge. Eine Affäre mit Mussolinis Tochter Edda wurde dem Duce-Anhänger fast zum Verhängnis, brachte ihm Haft ein. Pucci wich in die neutrale Schweiz aus. Toni Frissell, eine Modefotografin von „Harper’s Bazaar“, entdeckte 1947 den sportlichen Italiener im selbst entworfenen farbenfrohen Schneeanzug auf den Skipisten von St. Moritz. Die Amerikanerin war hin und weg, und schon bald präsentierte sie Puccis Skimode in ihrem Magazin.

Der Adelsspross trat ins Modebusiness ein und stieg in den 1950-er und 1960-er Jahren zu einem Top-Designer der internationalen Modeszene auf. Die ersten Teile produzierte er noch im zur Fabrik umgebauten Palazzo der Familie. 1949 eröffnete der Marchese die Boutique „La Canzone del Mare“ dort, wo er zuvor meist den Sommer verbracht hatte, auf Capri. Die Mittelmeerinsel galt damals als supermondän, hier tummelten sich die betuchten Nichtstuer der westlichen Welt. Ihr Motto: „fare bella figura“. Die Damen- und Herrenmode aus der Via Camerelle unweit der Marina Piccola wurde zum Geheimtipp. Capri war für die Deutschen damals schier unerreichbar. So weit weg, dass Rudi Schurickes Schnulze „Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt“ Fernweh erzeugte. Auf der Insel stellte der Modeschöpfer 1950 seine Kollektion vor. Sofort fiel seine Sporthose für Damen auf, eine Absage an die herrenmäßig geschnittenen Hosen aus der Zeit vor und während des Krieges. Seine Pantaloni waren nach dem Vorbild capresischer Fischerhosen geschnitten, also Hosen, die nicht nass werden, wenn der Fischer aus dem Boot steigt. Pucci taufte seine Kreation „Caprihose“.

Diese Freizeithosen waren um die Hüfte herum locker und bequem geschnitten, reichten nur bis zur halben Wade und wurden unten recht eng. Nur dank der etwa 12 Zentimeter langen seitlichen Schlitze konnte das Beinkleid überhaupt angezogen werden. Vulgär sieht anders aus. Dennoch verursachte Puccis Hose, besonders deren kessen Schlitze, einen Skandal. Die am Körper eng anliegende Hose, die nackte Waden und Fußknöchel hervorblitzen ließ, löste Debatten über Moral und Anstand aus, im katholischen Italien ebenso wie in Adenauer-Deutschland. Hosen galten auch fünf Jahre nach der Nazidiktatur für Frauen als unschicklich. Die sportlich freche Kreation, auch Piratenhose genannt, pustete eine frische Brise in die Damenmode. Pucci war seiner Zeit weit voraus. Als Capri Pants eroberten sie die Welt der Mode – mit Hilfe von Ikonen der 50-er Jahre - allen voran Audrey Hepburn, Marilyn Monroe, Brigitte Bardot, Liz Taylor und etwas später Jackie Kennedy, die diese Dreiviertelhose mit Nonchalance vorführten. Ein gutes Jahrzehnt später, als der Vatikan Miniröcke als „unzüchtig“ verbot, sehnten sich die Gegner der Minimode nach der – im Vergleich zu den Röcken der Mary Quant – doch eher braven Fischerhose zurück.

Heute fügt sich das Kleidungsstück in jeden Dresscode. Durchaus figurbetont, überzeugt diese Hose durch Leichtigkeit und Sportlichkeit, passt zu Ballerinas ebenso wie zu Stoffschuhen. Ob mit T-Shirt oder in Kombination mit Pumps und Blazer, stets ist die Capri-Hose richtig. Sie eignet sich fürs Büro ebenso wie für Ausflüge mit dem Rad oder Wanderungen am Strand. Wer danach noch ins Restaurant gehen will, kann die Hose gleich anbehalten. Sie ist im Laufe der Jahre ein Klassiker geworden, steht für Chic Made in Italy und sorgt – immer noch - für einen Hauch von Dolce Vita.

Wolfgang Herbrandt

Wolfgang Herbrandt, Jahrgang 1946 ist freier Journalist. Er wurde in der „Samt und Seide Stadt“ Krefeld geboren und lebt am Niederrhein. Er ist ein Grand Seigneur der Modewelt, kaum einer schreibt kenntnisreicher und eleganter über Alltag, Zeitgeschichte und die Geschichte der Mode. Aus seinem unerschöpflichen Fundus zog er für uns die Capri-Hose raus!

Doppelfoto: Dirk Bannert

Mode liebt Freiheit

Traum aus cognacfarbenem Chiffon

Die Welt wird heller, das Gras wird grüner und die Mode knapper – der Frühling ist da! Die Jahreszeit, in der viele Afghanen sich plötzlich dazu entschließen, mal einfach so im Sommer zu heiraten. Die Einladungen häufen sich und der Dresscode ist Gesetz: „elegant“ – na prima, die Suche nach dem perfekten Kleid beginnt… auch wenn die Feier erst Ende August stattfindet. Lang muss es sein, auf jeden Fall neu, nicht zu schlicht und wehe dir, du zeigst zu viel Haut.

„Ach, die mit dem nackten Kleid auf der Hochzeitsfeier im Sommer 2001?“ Ob du zwischenzeitlich zur Nobelpreisträgerin gekürt wurdest oder dir in der Politik einen Namen gemacht hast, interessiert da herzlich wenige – du bist und bleibst „die eine da mit dem nackten Kleid auf der Hochzeit im Sommer 2001“. Will dieser Stempel verhindert werden, braucht es lange und intensive Recherche und etliche Diskussionen mit der Mutter. Ohne ihren Segen sollte kein Cent auf ein Kleid verschwendet werden. Auch nicht mit 28 Jahren! „Das ist kein Kleid, sondern ein Stück Stoff!“, wird der wunderschöne cognacfarbene Traum aus Chiffon degradiert. Wie bitte? Eine Schulter und ein wenig Rücken blitzen heraus, der Rest des Körpers wird elegant und modern vom anschmiegsamen Material bedeckt.

Ohne viel Bling Bling

Nächstes Bild, nächstes Kleid, die K.O.-Kriterien sind nun bekannt – waren sie immer schon, aber ein Versuch war es wert. Nach gefühlten zwei Stunden Kleidergucken folgt die obligatorische Frage: „Weshalb nicht einfach afghanische Mode?“ In Modemetropolen dieser Welt jagt ein modisches Großereignis das nächste. Auf Fashionshows prägen Farben, Handwerk und die Kultur der Designer den Ruf des Catwalks. Nichts anderes präsentiert die afghanische Modepuppe. Bunt beschmückte Kleider mit sehr aufwendigen Stickereien, die durch und durch mit kleinen Spiegelchen und Pailletten verziert sind. Dazu wird konventioneller Silberschmuck getragen und der Vergleich mit einem hübschen Weihnachtsbaum ist nicht mehr ganz so abwegig. „Lebaas-e-Afghani“ – die traditionelle Tracht hat eine besondere symbolische Bedeutung und sorgt bei Exil-Afghanen nicht selten für große Begeisterung. Auf besonderen Anlässen im Westen offenbart die Wahl dieser kostspieligen Gewandung die Identität und spricht dafür, dass die Wurzeln nicht in Vergessenheit geraten sind. Jede verschiedene ethnische Volksgruppe in Afghanistan hat aber auch ihre typische Trachtbearbeitung, die sie von den anderen Volksgruppen unterscheidet. Der Stoff ist schwer und das Geklimper lenkt im Alltag vom Alltag ab. Bei einer Zeremonie im Sommer wäre die Wahl dieser Klamotte eine Kriegserklärung an das Make-up. Transpiration vorprogrammiert – somit ein No-Go! Selbst in konservativen Dörfern Afghanistan wehren sich die Mädchen und Frauen gegen diese etwaigen Hitzewallungen. Dort greifen diese auf die „Punjabi“ zurück, welche eigentümlich eine indisch-pakistanisch Bekleidung ist. Atmungsaktiv, leicht und praktisch und ohne viel Bling Bling.

Zurück nach Deutschland. Während der Frust der erfolglosen Kleidersuche beim Suchenden immer größer wird, verfällt der gnadenlose Kritiker (hier: die Mutter) beim Anblick der Bilder in Melancholie. Chiffon, Samt und Seide sind der afghanischen Frau keineswegs fremd. In Afghanistan gab und gibt es mehr als nur die so genannte Burqa. Schon in den frühen 70er Jahren verführten junge Damen mit knielangen, figurbetonten Kleidern die wartenden Männer auf dem Unigelände. Die Mode veränderte sich – und mit ihr auch die Einstellung dazu. Heute und weit weg vom Hindukusch erzeugen nackte Schultern einen Aufruhr auf irgendwelchen Festlichkeiten und die Tragende erreicht Bekanntheit. Schließlich ist man „…die Eine da mit dem nackten Kleid auf der Hochzeit im Sommer 2011!“ Après nous le déluge! Bestellung abgeschickt! Hallo, du Traum aus cognacfarbenem Chiffon!

Nasirah R.

Nasirah R., wurde 1983 als fünftes Kind in eine Großfamilie geboren. Hat in Kabul ihre ersten Schritte gelernt, im Siegerland und Koblenz die Schulbank gedrückt, in Düsseldorf SoWi studiert und in Neuss den Berufseinstieg gewagt. Fortsetzung folgt... „MIMAS“ wird sie neudeutsch genannt. „Mensch mit Migrationshintergrund". Ein Geschenk, wie sie findet, und das teilt sie dann auch gerne mit Anderen. Sei es anhand einer Kolumne "Tanz auf zwei Hochzeiten" im MiGAZIN www.migazin.de oder einfach nur in spannenden Unterhaltungen mit Freunden und Bekannten.

 

Fotos: Vera Keysers

Die Fotografin Vera Keysers, Jahrgang 1981, lebt in Essen und steckt gerade in ihren Abschlussprüfungen / Studiengang Kommunikationsdesign an der Folkwang Hochschule.

Mode dreht durch

Insider-Gespräch

Frühling. Düsseldorf. Nachmittag. 15.45 Uhr.
In einem Redaktionsbüro für Berufsmode.
Zwei Frauen.

Hummel Sprenger: Hör mal zu. Kann ich das so schreiben…?
Toxi Reuter: Lies vor.
Hummel Sprenger: Für Workerinnen in Industrie und Handwerk gibt es eine spezielle Damenworkerhose…
Toxi Reuter: Ha.
Hummel Sprenger: …Diese passt sich durch ihren Schnitt besonders gut an die Körperproportionen von Frauen an.
Pause. Kurzes Aufblicken.
Hummel Sprenger: Ist das unverfänglich? Lassen die das durchgehen?
Toxi Reuter: Nein. Ich würde dich dafür auf den elektrischen Stuhl setzen. Sag den nächsten Satz.
Hummel Sprenger: Darüber hinaus werden Poloshirts in Damenpassform in unterschiedlichsten Farben angeboten,…
Toxi Reuter: Ist ja ekelhaft.
Hummel Sprenger: …die optimal mit verschiedenen Kollektionsteilen kombiniert werden können.
Toxi Reuter: Widerlich.

Hemmungsloses Gekreische. Hysterisches Lachen. Fortgeschrittene Déformation professionelle.

Hummel Sprenger: Stimmt. Das wird im Korrekturmodus wieder alles knallrot.
Toxi Reuter: Ach, scheiß drauf. Komm, schick‘s raus.

(Anmerkung der Redakteurinnen: „Wenn Sie sich ebenfalls den ebenso interessanten wie wohlklingenden Namen eines Pornostars zulegen möchten, dann denken Sie an den Namen ihres ersten Haustieres und kombinieren Sie diesen mit dem Mädchennamen Ihrer Mutter.“)

Die Moderedakteurinnen Hummel Sprenger und Toxi Reuter widmen sich sicher auch in diesem Augenblick ihren ausgefeilten Texten, bei denen um jedes Wort kunstvoll gerungen und verzweifelt auf Freigabe durch höhere Mächte gehofft wird.

Foto: Dirk Bannert

Mode und Mega-Holdings

Designer-Dämmerung

So viel steht fest: Die Mode ist auch nicht mehr das, was sie mal war. Die Zeiten, in denen sich die Mode immer wieder komplett neu erfand und die Stilisten nie Dagewesenes kreierten, die modische Revolution ausriefen und Trends diktierten, liegen lange zurück. Wirklich „neu“ ist die Mode mittlerweile selten. Und auch von Trend-Diktaten kann keine Rede mehr sein, was ja kaum ein Nachteil ist. Doch echte Visionen zu entwickeln – damit tun sich die Kreativen von heute scheinbar schwer.

Statt textile Träume heraufzubeschwören, entwerfen die Protagonisten der in eine Hand voll Mega-Holdings unterteilten Luxuszwirn-Branche erst mal die gewünschten Marketing- und Vertriebs-Konzepte – und die passende Mode dazu, klar, die findet sich dann auch noch. Und fast wichtiger als die Klamotten selbst sind die richtigen Liefertermine. Die Saisonrhythmen sind immer schneller geworden in den letzten zwanzig Jahren. Statt einer Kollektion für den Winter und einer für den Sommer gibt es längst Cruise-, Christmas-, Zwischen-, Vor- und Hauptkollektion plus Nachlieferprogramme. Und aller vertriebstechnischen und konzeptionellen Verrenkungen zum Trotz: Geld verdient wird mit Schuhen, Taschen und Kosmetik.

Auf der Strecke bleiben oft Phantasie, Experimentierfreude, Humor, Charme, Mut und Leidenschaft einer Zunft, die doch eigentlich von nichts anderem leben sollte als eben diesen Eigenschaften. Doch wer nicht kühl kalkulieren kann, den bestraft die Branche. Je mehr Sicherheit die Einkäufer der Modeketten und –konzerne suchen, desto entschlossener flüchten sich die Kreateure in Altbewährtes. Natürlich gibt es – ein Blick auf die Arbeit eines Raf Simons für die Jil-Sander-Kollektion zum Beispiel genügt - immer Ausnahmen. Und doch zitieren die Designer heute mit Vorliebe die Vergangenheit. Und schrecken dabei vor nichts zurück: Nicht mal vor den Achtzigern.

Zugegeben, die modische Revolution auszurufen war früher im Vergleich ein Kinderspiel. Was gab es nicht alles für alte Zöpfe abzuschneiden, Zwänge zu entsorgen, Grenzen zu überschreiten. Man denke nur Paul Poiret und Madeleine Vionnet, die Anfang des 20. Jahrhunderts die Frauen vom Korsett befreiten. Oder an Coco Chanel, die noch einen Schritt weiter ging und den Baumwolljersey in die Damenmode importierte, um den Frauen daraus legere, sportliche und deutlich kürzere Kleider zu schneidern. Was wiederum dazu führte, dass Eleganz fortan völlig neu definiert wurde.

Die nächste stilistische Revolte zettelte Christian Dior im Februar 1947 mit seiner ersten Kollektion im noblen „New Look“ an: Schlagartig waren schmale Taillen und weitschwingende Röcke en vogue und der Trümmerfrauen-Look passé. Mary Quant hat seit 1962 offiziell das Copyright für den Minirock inne, das jedoch auch André Courrèges gern für sich beanspruchen würde, der im Übrigen mit seinem spacigen „Courrèges-Look“ das modische Comme-il-faut der gesamten Dekade diktierte. Yves Saint-Laurent schuf 1965 „Le Smoking“, den Smoking für die Frau. Giorgio Armani fügte der Geschichte der Damenmode in den Siebzigern das Herren-Jackett für jeden Tag hinzu. Beide hatten damit den Grundstein gelegt für die Androgynisierung der Mode, die das Geschehen auf den Laufstegen bis heute prägt. Und die legendären Avantgardisten der Neunziger, Yamamoto, Kawakubo und Miyake, sind im Grunde ohne Erben geblieben. Von ihren Ideen zehrt die ganze, sich immer wieder selbst zitierende Zunft. Bis heute.

Und was bleibt uns, am Ende des Tages? Vielleicht die Freude am Original: Der Charme einer Audrey Hepburn in ihrem legendären „Kleinen Schwarzen“ in „Frühstück bei Tiffany“, der Sex-Appeal der Liz Taylor in perfekter weißer Bluse und Bleistiftrock in „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ – die makellose Schönheit der ewigen Klassiker hat nichts von ihrem Zauber verloren. Bis heute.

Annette Gilles

Annette Gilles war zunächst Mode-Einkäuferin, dann viele Jahre Mode-Redakteurin und leitete schließlich das Damenmode-Ressort der “Textil-Wirtschaft”, lebt heute als freie Journalistin in der Nähe von Frankfurt.

Foto: Dirk Bannert