Editorial

 

Liebe Freunde, Kollegen, Medienschaffende,

„Spione wie wir“ ist das Thema der zehnten Ausgabe von „Escapade belles-lettres“. Geborgt haben wir uns den Titel von John Landis gleichnamiger Komödie mit Dan Aykroyd und Chevy Chase in den Hauptrollen. Und genauso wenig bierernst gehen wir mit dem Thema Spionage um wie der 25 Jahre alte „Spies like us“. Achim Wigand tritt hierfür den Beweis an mit seinem Text „Abteilung X – Desinformation“. Dennoch wundern wir uns immer wieder, wie viele Menschen nicht einen Gedanken ans Briefgeheimnis verschwenden, wenn sie ungeniert im mail-Postfach und sms-Eingang der/des Liebsten schmökern. Artikel 10 Grundgesetz, häh? Sind nicht in der Liebe und im Krieg alle Waffen erlaubt? Nein! Hier wie da nicht. Die Stasi? Gibt’s nicht mehr? Doch! Zwischen Hasi und Hasi.
Armin Bings bringt uns ans Ende der Mission. Zum Glück. Und zum guten Schluss können wir ganz legal einen Blick hinter die Kulissen werfen, nämlich bei der nächsten Lesung: „Rockpalast“ backstage am 10.6. in Köln mit Peter Rüchel, der für uns aus seinen Erinnerungen liest, erzählt und Bilder mitbringt.
Ebenfalls in dieser Ausgabe: Pictures from Hollywood. Und hier schließt sich der Kreis. Exklusiv für Escapade konnten wir den Fotografen Michael Dressel gewinnen, der im Hauptberuf Soundeditor beim Film ist.

Viel Spaß jetzt mit unserem Magazin (und lasst Euch dabei nicht über die Schulter schauen) wünschen,

Eure
Flora Jörgens und Silke Vogten

Foto: Flora Jörgens

Abteilung X - Desinformation

 

Alle Mails der letzten sechs Monate – gelesen und als Hardcopy gesichert.
War einfach, wer hat ihr denn das Postfach eingerichtet, den Mailreader konfiguriert? Da war der simple Wechsel des Passworts eine ziemlich vergebliche Maßnahme.
Alle SMS des gleichen Zeitraums – abgesaugt und mit wachsender Übelkeit zur Kenntnis genommen.
Manche Kulturschaffende verzweifelt eben schon an einfachsten Herausforderungen der Techniksemantik. Das kleine blaue ‚B‘ im Display. Ein beinahe komplettes Bewegungsprofil ihrer Aktivitäten außerhalb der Stadtgrenzen erstellt. Auch noch kein Hexenwerk, GPS-Empfänger mit Trackrecording halten auch mit einem einzigen Batteriesatz lange durch und sind leicht in den selten genutzten Außentaschen des Handgepäcks zu verstauen. Einmal hat sie das Ding sogar gefunden – habe sie angeschnauzt, warum sie beim Koffer packen nicht besser aufpasst. Hat sich sogar entschuldigt.
Mein eigenes Telefon, naja, unser Telefon angezapft und alle Gespräche aufgezeichnet und abgehört. War vielleicht nicht ganz legal. Aber oh so aufschlussreich.
Ich bin also gut, ich bin bestens informiert und es ist mir schlecht, es ist mir miserabel bekommen. Seit über einem Jahr hörnt sie mich mit einem Rollkragenpullovermickerling aus einem der windigen Hinterhoftheater, die sie mit ihrer halbgaren Kunst beglücken darf. Ich weiß, dass er nicht kochen kann, dass er sein Fahrrad nicht selber repariert, dass originellerweise ‚Casablanca‘ sein Lieblingsfilm ist, dass er gerne kuschelt und halbtrockene Weine tatsächlich für halbtrocken und auch noch für trinkbar hält. Außerdem amüsiert er sich über meinen Psychopharmakakonsum und kommt aus Sachsen, was man auch noch hören kann. Es geht mir nicht gut, es geht mir gar nicht gut und alles nur, weil ich es so genau wissen wollte.

Sun Tzu, Kapitel I, Satz 18: Alle Kriegsführung ist Täuschung.

Natürlich könnte ich den Usurpanten der partnerschaftlichen Bettstatt kunstvoll und nachhaltig verprügeln, aber schließlich bin ich ein Genie der zwischenmenschlichen Kriegsführung, ein Grande des Beziehungsterrors. Außerdem Ex-Boxer und das sehen Staatsanwälte bei Körperverletzungsdelikten gar nicht so gern und am Ende kriegen die das mit der Telefonüberwachung auch noch raus.

Sun Tzu, Kap. IX, Satz 11: Kein Angriff in bestrittenem Gelände.

Ich kaufe also eine Prepaid-Telefonkarte, richte mir einige lasziv klingende Mail-Adressen ein und bombardiere mich fortan mit scharfen Dankadressen für heldenhaft geleistete sexuelle Dienstleistungen. Anfangs fühle ich mich noch etwas albern, wenn ich „war toll mit dir, kleiner dicker fickbär“ an meine Mobilfunknummer sende oder schäme mich ein wenig ob der Mail einer fiktiven Kathleen (Ostbiographie!), die ein Hohelied auf meine körperlichen Vorzüge singt. Bald aber merke ich, wie der ständige Lobpreis, wiewohl hausgeschlumpft, mein mittlerweile arg lädiertes Selbstbewusstsein durchaus streichelt. Nur: Das untreue Luder in meiner Wohnung kriegt davon nichts mit. Mehrfach vergesse ich mein Telefon, lasse kompromittierende Inhalte ostentativ auf dem Monitor stehen und völlig eindeutige Postkarten durch den Briefschlitz rieseln. Sie schaut einfach nicht drauf.
Ich schaue nach bei Sun Tzu, aber leider hat der den Fall nicht vorgesehen.
Ich krame in meinen Weisheiten und mir fällt meine Oma ein: Viel hilft viel! Ich entfache ein wahres Buschfeuer an Pornomails, SMS und MMS und siehe da: Es klappt! Ausgerechnet die Nachricht, in der mir meine treudoofe Arbeitskollegin Chrissy ein Handyfoto ihres Genitals auf den Bildschirm schickt, kriegt meine nun schon ziemlich verflossene Liebe hochaufgelöst zur Kenntnisnahme. Früher hätte ich die Situation (war bei der Aufnahme natürlich zugegen – dowjerai, no prowjerai, Lenin) bestimmt libertinär ausgenutzt, aber die ständige Geilschreiberei hat meinen Bedarf an physikalischen Liebeshandlungen reichlich überkompensiert. Danke, Oma.
Aber offensichtlich hält es das Ziel meiner Desinformation wohl auch mit Sun Tzu:

Die Sicherheit deiner Verteidigung ist gewährleistet, wenn du nur Positionen hältst, die nicht angreifbar sind; Kap. VI, Satz 7.

Oder einfacher, mit den Worten eines großen, weisen alten Moppedschraubers: Wenn’s nicht mehr dran ist, kannstes auch nicht reparieren. Sie lässt sich weiter von ihrem dystrophierten Zonentrottel durchvögeln, jetzt wahrscheinlich auch noch mit einem guten Gewissen, wg. vice versa und quid pro quo. Chrissy, beleidigt weil sträflich ungefickt, redet auch nicht mehr mit mir.
Ich entschließe mich zu einer finalen Terrorattacke: In bewährter Manier – elektronische Stalinorgel – imaginiere ich einen gedungenen Prügelschergen, der ihr mit bösen notzüchterischen Absichten in einer dunklen Ecke auflauern wird. Rolf Rüssmann, Aperçus: Wenn wir hier nicht gewinnen, treten wir ihnen wenigstens den Rasen kaputt.
Zur Implementierung dieser finalen Strategie, verfahre ich mich, als ich sie zum letzten Mal vom Bahnhof abhole, gezielt in ein sehr finsteres Viertel meiner Stadt und halte unter einem lauen Vorwand vor einer Kneipe mit fies lungernden Gestalten. Kenntnisnahme meines vorgeblich perfiden Plans ist gesichert: Blass und mit unüberhörbarer Panik in der Stimme fleht sie um Weiterfahrt, aber ich – zum ersten Mal seit Wochen der treibende Wind im Herbst unserer Beziehung – spiele die Situation gnadenlos zu Ende. Ich steige aus, stelle ihren Koffer neben die überquellenden Mülltonnen und verschwinde in die finstere Kaschemme. Scylla oder Charybdis, trugvolles Weib: Entweder alle Klamotten und Unterlagen sind in wenigen Sekunden geklaut oder du läufst dem vermeintlichen Vergewaltiger in die Arme. Schäbiger, genossener Triumph.
Leider bekomme ich den Showdown nicht mehr mit. In der von mir fachmännisch als Hort des Bösen ausgewählten Kneipe feiert man gerade Führers Geburtstag und die gut besetzte Runde findet mein Ché-T-Shirt gar nicht einmal so lustig und jagt mich einmal quer durchs Ghetto. Mein Auto finde ich am nächsten Tag bis auf das Bodenblech gestrippt wieder – hatte ja die Tür offen gelassen – die Ex-Freundin und ihre Koffer sind auch weg. Leider keine Blutspuren oder Knochenreste im Rinnstein.
Oma, Aphorismen II: Wer anderen eine Grube…ach Oma, lass stecken. Und von dem neumalklugen Chinageneral will ich auch nichts mehr hören.

Achim Wigand

Achim Wigand, geb. 1968, lebt in München. Nach dem Studium als Gastrojournalist, Boxtrainer, Veranstaltungstechniker und in der PR-Abteilung eines großen süddeutschen Unternehmens tätig. Schreibt heute Reiseführer im Michael-Müller-Verlag.

Foto: Michael Dressel

Michael Dressel ist Hollywood-Filmklempner, lebensfroher Pessimist, Maler und Fotograf. Mehr unter: www.michaeldressel.com.

Ende der Mission

 

Den tickenden Wecker
in letzter Sekunde entschärft.
Alle Schurken im Säurefass,
die freie Welt gerettet:

heute
schlafen wir aus.

Armin Bings

Armin Bings, geb. 1972 in Geilenkirchen, lebt und schreibt in Köln. Veröffentlichung in zahlreichen Anthologien und Literaturzeitschriften. Seit 2005 Veranstalter und Moderator von „Schöner Lesen – Texte, Torten, Heißgetränke“ im Café Franck, Köln Ehrenfeld. Mehr dazu unter: www.schoenerlesen.blogspot.com.

Lesung

 

L’Escapade d’Escapade oder: Escapade proudly presents: Peter Rüchel!!
"Rockpalast – Peter Rüchels Erinnerungen" heißt sein Buch, das die legendären Rocknächte in Wort und Bild wieder auferstehen lässt.

Am Samstag, den 23. auf den 24.7.1977 ging die erste Rockpalast-Nacht live in der Essener Grugahalle mit Rory Gallagher, Little Feat und Roger McGuinns Thunderbyrd über die Bühne und bis in den frühen Morgen auch ungefiltert über die Fernsehbildschirme, ARD-weit und über Eurovision.

Ausgedacht hatte sich dieses Live-Konzept Peter Rüchel als leitender WDR-TV-Jugendredakteur zusammen mit Regisseur Christian Wagner. Peter lässt uns einen Blick hinter die Kulissen der Mega-Veranstaltungen werfen und schildert anschaulich seine Erlebnisse aus der Perspektive eines Machers, der aber immer Fan geblieben ist.

Bis 1986 feierten Millionen Rockmusik-Liebhaber zweimal jährlich Parties vorm Fernseher und zwar nicht nur in der Bundesrepublik. Wie die Zuschauer in der DDR die Nächte durchmachten, schildert Tobias Künzel in Rüchels Buch.

Angefangen hatte der "Rockpalast" übrigens vor 80 Zuschauern im WDR-Studio in der Südstadt, 1976 mit Procol Harum. Und hierher, in die Kölner Südstadt, kehrt Peter Rüchel nun extra für uns zurück. Da Peter „Escapade“ mag und uns auch als Gast bei Lesungen unterstützt, ist es uns eine besondere Ehre ihn zu präsentieren:

am Donnerstag, 10.6.2010

Fiffi-Bar, Severinswall 35, Köln, Beginn: 20.00 Uhr, Einlass: 19.00 Uhr

Reservierung erforderlich: 0176 62 92 65 69 oder Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Peter Rüchel, ehemals leitender WDR-TV-Jugendredakteur,1993 Medienmann des Jahres, seit 2002 im Ruhestand, immer noch Betreuer des „Rockpalast“

 

Außerdem:

 

Wir mögen uns: Escapade belles-lettres und Initiative "akku, Autismus, Kunst und Kultur", www.initiative-akku.org